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BIN NIT VA DAO, BI VA WEIT HEA

Dieses gleichermaßen wundersame wie wundervolle Buch erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. Und das, obwohl es gewillt ist, alles Erdenkliche dazu beizutragen. Rein haptisch hält man ein ordentliches, quadratisches Hardcover-Werk in Händen, das mit einer eindrucksvollen Gestaltung punktet: Vollformatige Fotos stehen neben groß, zentral und sparsam gesetzten Texten, jeweils ein Gedicht pro Seite. Darunter finden sich meist die Übersetzungen, die äußerst hilfreich sind, wenn es darum geht, den Dialekt der Pinzgauerin zu verstehen, sofern man ihn nicht in die Wiege gelegt bekommen hat.

Jene eindrucksvollen Naturfotos sind es aber auch, die einen anfangs in die Irre führen und das Gefühl vermitteln, man hätte sich in ein Biologiebuch für Blumen und Knospen verirrt. Wenn …, ja wenn da nicht die Texte wären! Diese muss man sich jedoch - nicht nur der Mundart wegen - erst erarbeiten und erobern. So, wie die 1941 am Großsonnberg in Taxenbach geborene Theresia Oblasser das Schreiben erst für sich gewinnen musste. 

Gertraud Steiner, die auch für einige Fotos und die „Übersetzungen“ und Erläuterungen verantwortlich zeichnet, schreibt in ihrem Nachwort sinngemäß, dass Oblassers „Eroberung der Feder“ über weite Strecken ein Kampf war und zitiert damit die Dichterin selbst. Sich von einer verkrusteten Lebensweise und vorgeschriebenen Rollen im Alltag zu entfernen, das war nicht nur das Lebensmotto der dreifachen Mutter Oblasser, sondern davon erzählen auch ihre Texte, die in reduzierte, treffende Worte gewandet sind. Und an diesem Punkt kommen die vielen, eingangs irritierenden Blumen und Knospen ins Spiel: Das Aufspringen, das Aufbrechen, das Erblühen der Bergbäuerin, die mit gut vierzig Jahren erst mit dem Schreiben begonnen hat, versinnbildlicht sich in der erwachenden Natur. Die Autorin tat sich damals mit gleichgesinnten Frauen zusammen und begann mit – für ihre Sozietät - ungewöhnlichen Aktivitäten: Sie verfasste mutige Artikel und wirkte bei überregionalen Arbeitskreisen mit. Und von dieser Seite Oblassers sollte man Kenntnis haben, damit man die blumigen Naturbeschreibungen auch zwischen den Zeilen lesen kann. 

Auf diese Weise erklärt sich auch der Titel „bin nit va dao bi va weit hea“, der für ein, in regionaler Mundart verfasstes Werk, fast ein wenig befremdlich wirkt.

Theresia Oblasser ist in ihrem Leben vermutlich einen sehr weiten Weg gegangen - vielleicht nicht im geografischen - aber im biografischen Sinne. Und dazu ist sie immer aufs Neue aufgebrochen. Und wenn in ihren Gedichten auch das Beschwerliche mitklingt, so bleiben diese dennoch stets frei von Schuldzuweisungen. Im Gegenteil, manchmal scheint die Schriftstellerin selbst zwischen ihren eigen Zeilen nach den positiven Aspekten des Lebens zu suchen … und schafft es, genau diese ewige und bemerkenswerte Neugierde auch auf den / die Lesenden zu übertragen.

Schuldzuweisungen haben Oblassers Worte auch gar nicht nötig. Ihre Poesie ist stark genug um als eigenständiger Kommentar zu bestehen. Und so nimmt sie uns mit zu einem Ausflug und vermittelt uns Leser*innen ihre ganz persönlichen Ausblicke auf die Welt. 

Und ganz nebenbei lernt man auch noch spannende Worte und Begriffe seiner eigenen Muttersprache kennen. Oder hätten Sie, geschätzte Nicht-Pinzgauerin, geschätzter Nicht-Pinzgauer, gewusst, was ’s Reabeidlroa ist? In „bin nit va dao bi va weit hea“ erfahren Sie es.


Rezension: Robert Anders







Theresia Oblasser

„bi nit va dao bi va weit hea

Gedichte aus den Hohen Tauern

durchgehend farbig bebildert

Anton Pustet Vlg., 2023

978-3-7025-0654-4

180S. | € 22,00




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