Der Dialekt ist für ihn eine 17er-Krechel: Markus Köhle im Interview
Markus Köhle, Foto © Claudia Rohrauer
Deine sprachlichen Wurzeln liegen in Nassereith in Tirol – und du bezeichnest dich selbst als Sprachinstallateur. Wenn wir in deinen Werkzeugkoffer blicken dürften: Welches Werkzeug wäre der Tiroler Dialekt für dich?
Eine 17er-Krechel. Ein brachiales aber patentes Tool. Kryptisch aber praktisch und natürlich auch sehr, sehr gefährlich. Denn die Krechel steht unter Starkstrom und das Handling will geübt, ja mehr noch, fast geerbt werden. Krechel-Handling lässt sich nicht erlernen, man muss damit auf- oder zumindest gut geleitet hineinwachsen. Ein Auswärtiger kann das nicht verstehen. Ich habe bewusst die männliche Form „Auswärtiger“ verwendet, weil da der Tiger drinnen steckt, der gefräßig und gefährlich ist und das auch das Bild der Hiesigen, die Auswärtigen betreffend, ist. Wer mehr über die Krechel wissen will, möge bei Martin Fritz nachlesen*
Hast du einen Lieblings-Dialekttext?
Aktuell ist es wohl das Burgermeister-Telefonat im Roman „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts“, denn das ist bezeichnend für mein Verhältnis zum Dialekt. Da ruft nämlich der Bürgermeister an, Lukas (so heißt der Protagonist) hebt ab und ist sofort drinnen im Dialekt, den er ja sonst nicht verwendet. So ist das auch, wenn die Mama anruft. Da braucht es gar kein großes Umstellen. Das geht nach wie vor flawless (um das mal so neudialektal auszudrücken). Ansonsten werde ich regelmäßig von Autorinnen des Imster WORTraums mit Dialektgedichten versorgt, die mich immer wieder berühren und zurück in die Herkunft transportieren. Denn die WORTraum Autorinnen sind fleißige Einsenderinnen beim DUM (Das Ultimative Magazin), bei dem ich ja seit Jahren im Redaktionsteam bin.
In deinem bereits erwähnten Roman „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts“ geht dein Protagonist der Frage nach, wie Autor es anstellen könnte, kritisch über die eigene Heimatgemeinde zu schreiben, ohne alle vor den Kopf zu stoßen (immerhin müssen ja die Eltern noch dort leben). Wie ging es dir selbst vor 20 Jahren mit dem Thema, und wie gehts dir heute damit? Hat sich da was verändert?
Vor 20 Jahren hätte ich noch nicht die sprachlichen Mittel gehabt, mich wirklich damit auseinander zu setzen. Vor 13 Jahren habe ich „Dorfdefektmutanten“ geschrieben. Da hab ich ein Dorf und einen Protagonisten erfunden und alles möglichst allgemeingültig gehalten, aber natürlich auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen. Das war ein Schritt in die richtige Richtung. Diesmal war ich radikaler. Grob gesagt. Alles Gegenwärtige ist erfunden, alles Vergangene aus meiner direkten Umgebung zusammengetragen. Meine Erfahrung damit ist: die allgemeine Identifikation ist viel größer, aber persönlich verletzt fühlt sich niemand, weil es durch die Literarisierung von der jeweils eigenen Erfahrung abweicht. Für mich persönlich war die Wir-Perspektive in der Erzählhaltung bei den Jugendgeschichten der Schlüssel. Es ging mir darum, Geschichten einer Generation festzuhalten. Geschichten in Dörfern. Da stehen Lukas und Nassereith stellvertretend für andere Orte und Menschen. Im Übrigen kommt Nassereith in diesem Roman ja eh gut weg. Da könnten andere Orte beleidigter sein.
Du bist Slammer der ersten Stunde – zumindest was Österreich betrifft –, gemeinsam mit Mieze Medusa hast du den Slam nicht nur in Wien bekannt gemacht, sondern ihr seid auch unermüdlich in andere Bundesländer gereist, um zu zeigen: Literatur ist für alle da, Literatur ist jung, vielfältig und dynamisch und alles andere als abgehoben oder gar verstaubt. Wie kamst du selbst mit dem Slam in Berührung? Wann und wo war dein erster Slamauftritt? Und weißt du noch den Titel deines Texts?
Das war vor ziemlich genau 25 Jahren (Mai 1997). Da gab es in Innsbruck im Provinz Theater eine Zeit lang ein Veranstaltungsformat, das Poetry Slam hieß. Das war damals aber im Grunde eine offene Bühne für alles, und ich meine wirklich alles: von der Feuerjonglage bis zur Bodyperformance, Texte freilich waren auch erlaubt. Da habe ich einen Prosatext gelesen, den Titel weiß ich leider nicht mehr. Aber es war ein Schreibprojekt, das ich startete, weil mein Bruder – mit dem ich mir das WG-Zimmer in Innsbruck teilte – auf zweimonatige Afrikareise ging und ich beschlossen habe, ich schreibe auf, was er so versäumt hat. Was natürlich lächerlich und lustig gleichermaßen war, denn er ging auf große Reise und ich hielt fest, was er im kleinen Innsbruck versäumte. Dieses sehr offene PS-Format hat sich dann schnell totgespielt und 2001 in Hamburg habe ich dann einen Slam gesehen, der die Regeln hatte, die mittlerweile überall gebräuchlich sind. Das hab ich mir abgeschaut und mit nach Innsbruck genommen und im Oktober 2002 dann einen monatlichen Poetry Slam gestartet.
Kannst du uns etwas über diesen Slam – den es ja heute noch gibt und den man mittlerweile als Bäckerei Poetry Slam kennt – erzählen? Wie haben sich die Anfänge gestaltet und wie hat sich die Slamszene in Innsbruck in den letzten 20 Jahren entwickelt?
Der BPS war bis 2011 im Kulturgasthaus Bierstindl und findet seither in der Bäckerei statt. Wie oben bereits erwähnt, habe ich in Hamburg einen Poetry Slam erlebt, der mich begeistert hat, das wollte ich so auch in Innsbruck haben und da ich damals als Programmassistent im Bierstindl arbeitete, ist es mir gelungen, das kleine Studio einmal im Monat zu kriegen. Da gab es eine Bühne aber kein Mikrophon, war nicht notwendig. Es hat mit 30 Menschen schon voll ausgeschaut, öfter waren 80 drinnen, von denen geschätzt 50 rauchten und dieser Slam-Nebel hat laufend Lichtgestalten hervorgebracht. Martin Fritz, Robert Prosser, Stefan Abermann, Markus Koschuh – alle hatten ihre ersten Auftritte dort und kamen wieder, immer wieder. Das entwickelte eine Dynamik und es wurden immer mehr. Langsam auch Frauen. Mieze Medusa freilich war von Anfang an immer wieder dabei, aber wohnte ja bereits in Wien. Mittlerweile hat der BPS schon mehrmals die Österreichische Poetry Slam Meisterin (Tamara Stocker, HierkönntedeinNamestehen) gestellt und immer wieder großartige Slammer*innen hervorgebracht. In der Szene ist der BPS sehr beliebt. Viele Jahre lang hab ich das alleine geschupft, mittlerweile sind wir ein Verein (SPOT – Slam Poetry Tirol) und ein tolles Team: Martin Fritz, Carmen Sulzenbacher, Katrin ohne H, Leo Dravoj; SPOT stellt Poet*innen im ganzen Land ins Rampenlicht. Alle sind willkommen!
Der Slam, das war ja immer ein bisschen das coolere, das jüngere Format als die Lesung. Bier statt Wasser, maximal 5 Minuten, Standmikro statt Tisch, eine gute Performance, ein Publikum, das jederzeit aufstehen kann … und die Autor*innen treten miteinander in Kontakt.
So ist es auch heute noch. Das Format ist simpel aber überzeugend und noch immer ein Garant dafür, Poet*innen eine Bühne zu bieten, die sonst nicht wüssten, wo hin mit ihren Texten.
Seit 2003 organisierst du – gemeinsam mit Robert Renk – das Innsbrucker Prosafestival. Da gibt’s dann wieder einen Tisch, gedruckte Bücher, Gespräche, keine Wertung … fad ist das trotzdem nicht bei euch, ganz im Gegenteil. Was ist euch beim Prosafestival wichtig?
Wir sind Literatur-Freaks, die lieber im Underground-Keller als im Elfenbeinturm abhängen, wir könnten ihn schon auch den akademischen Duktus, müssen ihn aber nicht raushängen lassen. Wir wollen, dass sich sowohl die Autor*innen, als auch das Publikum wohlfühlen. Das fängt bei der Verköstigung an, geht bei der Vorstellung, die im Idealfall einfach ein gemeinsames, lockeres Gespräch über Buch und Autor*in ist, weiter, erstreckt sich schließlich über drei Tage und Nächte mit Erfrischungsgetränken nach Wahl und wenn nicht getanzt wurde, kann es noch nicht vorbei sein und wenn nicht mindestens ein paar neue, nette Menschen kennengelernt wurden, ist es noch nicht vorbei und es wird hoffentlich noch lange nicht vorbei sein, sondern in dieser Art weiter gehen. Das IPF (Innsbrucker Prosa Festival) ist aufmüpfig, mutig, lebendig und immer in Bewegung.
Du bist nun auch in der Alten Schmiede sehr aktiv, wo du regelmäßig Neuerscheinungen vorstellst und Retrogranden auffrischst. Außerdem bist du Redaktionsmitglied der Zeitschrift DUM-Das Ultimative Magazin – nebst der redaktionellen Arbeit bloggst seit 13 Jahren auf dum.at übers Unterwegssein. Wie viele Stunden am Tag beschäftigst du dich nicht mit Literatur – und wie viele davon schläfst du?
Also schlafen gar nicht so wenige. Ich bin ein großer Freund der Siesta. Die kann sehr kurz, aber sie muss sein. Außerdem bin ich auch ein sehr intensiver Träumer und wache schon mal auf mit einem Wort oder Satz im Kopf, das oder der dann gleich notiert werden will. Ansonsten ist zu sagen, dass es ja gerade das Privileg der Arbeit als freier Autor ist, die Stunden nicht zählen zu müssen. In Summe wäre es vermutlich ohnehin ernüchternd. Manchmal beschäftigte ich mich rund um die Uhr mit etwas und dann auch mal wieder einen Tag lang gar nicht. Manchmal lese ich zwei Romane in fünf Tagen, dann wieder bloß zwei in einem Monat. Manchmal schlafe ich mit einem Buch in der Hand ein, manchmal wache ich mit einer Buchidee auf und beim gemeinsamen Frühstück mit Mieze „Doris“ Medusa wird dann darüber geredet und der Tag fängt schon mal gut an.
* Martin Fritz: Die Krechel. Erschienen in: Martin Fritz: "Die Vorbereitung der Tiere", edition laurin
Markus Köhle schreibt, um gehört zu werden. Er ist Sprachinstallateur, Literaturzeitschriftenaktivist und Papa Slam Österreichs.
Er studierte in Innsbruck und Rom Germanistik und Romanistik, war 2004-2006 Forschungsprojektassistent an der Universität Innsbruck. Seit 2001 ist er literarisch, literaturkritisch, literaturwissenschaftlich und auch als Literaturveranstalter aktiv. Seit 2002 veranstaltet er Poetry Slams. Er macht Lesungen, Vorträge und Workshops in Schulen, Universitäten und diversen Kulturveranstaltungsorten im In- und Ausland (z.B. Österreich Bibliothek Jerewan, Goethe Institut Alexandria, Taschkent, Österreich Institut Kairo, Ljubljana, Sommerakademie Zakynthos, Universität Maribor, Skopje, Tetovo, Prag, Stellenbosch, Grahamstown, …). Quelle: https://mkoehle.backlab.at/ueber-mich
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