Meinem Freund Gerhard Jaschke nachgerufen
von Manfred Chobot
Der plötzliche Tod von Gerhard Jaschke ist ein nachhaltiger Verlust für die zeitgenössische österreichische Literatur, nämlich in mehrfacher Hinsicht, denn Jaschke war als Dichter, Verfasser von Kurzprosa, Herausgeber, Organisator, Katalysator, Rezensent aktiv, und zwar höchst intensiv. – Nicht unerwähnt bleiben sollen seine Scherenschnitte und Telefonzeichnungen! (Letztere u. a. publiziert in seinem Buch „Absichtslose Kunst“ – Herbstpresse, Wien 1989).
Mit Hermann Schürrer gründete er 1976 das Freibord, das er nach Schürrers Tod 1986 allein bis 2012 weiterführte. Ab 2013 mutierte Freibord zu Feribord oder Firebord – woran sich Jaschkes Affinität zum Anagramm erkennen lässt –, Leporellos mit lyrischen Texten einer Autorin, eines Autors.
Ergänzt und erweitert wurde Freibord von der Edition Freibord, einer Buchreihe, die sich Literaten und Künstlern annahm, bei denen große Verlage versagten – aus finanzieller Vorsicht sowie monetärer Zurückhaltung.
Genannt sei „Trostlied für Aus- und Angebombte“ von Friedrich Schröder-Sonnenstern, einem der wesentlichsten Künstler der „Outsider Art“. Sowie ein Buch zu Henri Chopin, einem Lautpoeten und Klangkünstler: „Ich bin besessen von der Frage, was physische Poesie ist. Ich habe die Mundhöhle benutzt, die Luftröhre, den Atem, das Geräusch des Körpers. Der Körper, der Mund als Klangkörper, als Instrument.“
Besonders am Herzen lag Jaschke sein Freund Hermann Nitsch. Im Sonderzahl Verlag veröffentlichte er 1994 das Buch: Reizwort „Nitsch“. Das Orgien Mysterien Theater im Spiegel der Presse.
Für den zurückgezogen lebenden Dichter Josef Enengl hat er sich besonders eingesetzt, seine Gedichte in Büchern präsentiert, denn alljährlich war er mit Freibord auf der Frankfurter Buchmesse zugegen.
Oftmals besuchte Gerhard Vernissagen unserer Galerie, und wir trafen einander nicht bloß bei Lesungen, vielmehr regelmäßig bei den Vorstandssitzungen der GAV, da Jaschke von 2006 bis 2015 Geschäftsführer war. Oder er hat mich nach Unterretzbach, seinem niederösterreichischen Wohnsitz, zum Lesen eingeladen. Es war das Haus, in dem auch der Vater von Ingrid Wald, der zu früh verstorbenen Ehefrau von Gerhard, lebte. Der Verlust von Ingrid war ein schwerer Schlag für ihn. Sie hatte ihn nach seinem Schlaganfall rechtzeitig gefunden, was ihm das Leben gerettet hatte, wiewohl er danach in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, auf Stöcke angewiesen war. Die „Sommergalerie Unterretzbach“ veranstaltete er konsequent jedes Jahr, vom Standard trefflich „Weinviertler Sommerlust“ bezeichnet.
Was ich an Gerhard besonders schätzte, war sein allumfassendes Wissen über Literatur und Kunst, eine Informationsfülle, wie man sie bei Literaten nur selten findet. Er war belesen und bestens vertraut mit den Kunstrichtungen Fluxus und Dada sowie jeder Art von Avantgarde, schätzte genauso wie ich Paul Scheerbart, diesen Berliner Sonderling, der das Perpetuum mobile erfinden wollte, stattdessen aber eine phantastisch-surreale Welt erfand und „astrale“ Literatur verfasste. Seinem Buch „Das zweite Land“ fügte Jaschke ein Motto von Scheerbart hinzu: „Es liegt etwas Armseliges in denen, die alles wirklich haben wollen.“
Eines Tages, bei einer Vernissage, sagte er, dass er bereits eine Vernissage besucht habe, nicht lange bleiben könne, weil er zu einer weiteren Vernissage müsse.
Das Podium suchte damals jemanden für das Generalsekretariat und Gerhard meinte, dass er das übernehmen könne. Ich erwiderte: „Du spinnst, du brennst ohnedies schon an beiden Enden, bist Generalsekretär der GAV, Regionaldelegierter der GAV-Niederösterreich, machst das Freibord, bist Lehrbeauftragter für Literaturgeschichte an der Akademie der bildenden Künste (von 1986 bis 2009), dennoch hat der Tag auch für dich lediglich 24 Stunden.“
Gerhard war ein konsequenter Spieler mit Sprache, Wörtern, Bedeutungen oder Buchstaben, was sich insbesondere durch seine Anagramme manifestierte. „Wer aber einmal mit dem Worte spielte, wird immer wieder mit dem Worte spielen“, zitierte Jaschke in seinem Buch „Das zweite Land“ Kurt Schwitters aus einem Brief an Luise Spengemann von 1946.
Als „feinsinnigen Spötter und sanguinischen Unterstützer jeder Form von literarischer Subversion“ würdigte Ronald Pohl den verstorbenen Autor in seinem Nachruf in der Tageszeitung Der Standard. Ja, das war er wirklich! Anno 1973 hatten wir einander bei einer Lesung in der Galerie von Grita Insam und Helga Vavrosek kennengelernt. Ich werde diesen Sprachspieler, diesen Sprachakrobaten, sehr vermissen, denn er war einer meiner zuverlässigsten Freunde und ein besonderer Kollege.

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