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Marcus Fischer im Interview

Der Roman "Die Rotte" des 1965 in Wien geborenen Autors Marcus Fischer erschien Ende August im Buchverlag Leykam und gehört ganz eindeutig zu den Highlights des diesjährigen Herbstprogramms.

Margarita Puntigam Kinstner hat dem Autor Ende Oktober ein paar Fragen gestellt.


Marcus Fischer; Foto © Minitta Kandlbauer

Für deinen Roman „Die Rotte“ hast du eine ganz eigene, sehr österreichische Form der Erzählsprache gewählt, die einerseits durch die Verwendung des Perfekt an eine mündliche Erzählung erinnert, auf der anderen Seite jedoch viel bildreicher und dichter ist und vor allem wunderbar atmosphärisch.

Wieso hast du dich dafür entschieden, deinen Roman in diesem Ton zu erzählen?


Marcus Fischer: Weil es für mich die einzig stimmige Form war, mich dieser Zeit und dieser abgeschiedenen Siedlung anzunähern. Die Erzählstimme bleibt zwar anonym, stammt aber von dort. Das Präteritum hat einfach falsch geklungen, nach Schriftsprache und nach einer Erzählinstanz, die von außen über das Geschehen redet. Das durchgehende Perfekt hat natürlich mit den vielen Hilfsverben auch Probleme geschaffen, ich musste irgendwie diese Überfülle an „haben/sein/hat/ist/haben gehabt/sind gewesen“ etc. schlichten, da ist mir die recht freie Wortstellung, die der Dialekt erlaubt, sehr gelegen gekommen. Spannend war es aber auch, mit einem begrenzten Wortschatz (es gibt in dieser Sprache z.B. kein „blicken“, „betrachten“, „beobachten“ etc., sondern einfach nur „schauen“) die seelischen Zustände der Figuren, vor allem der Protagonistin zu beschreiben. Im Übrigen war die Sprache schon lange vor der eigentlichen Handlung da, ich hab mit der Erzählstimme experimentiert, ohne noch zu wissen, was ich im Detail erzählen möchte.

Die Handlung deines Romans spielt in der Rotte Ferchkogel am See, die aus nur wenigen Höfen besteht. Wie entstand die Idee, über eine abgeschiedene ländliche Gemeinschaft Anfang der 70er zu schreiben? Hast du zu dem beschriebenen Landstrich persönliche Bezugspunkte?


Marcus Fischer: Ja, ich hab meine halbe Kindheit in einem sehr kleinen, abgelegenen Dorf im südlichen Niederösterreich verbracht. Und weil es dort keinen See gibt, hab ich den Ort weiter nach Westen gerückt, irgendwo zwischen Hochschwab und Ötscher.

Was mich an deinem Roman besonders berührt hat, war die Beschreibung von Elfis Depression, die du so authentisch zeichnest, dass man sie direkt spürt. Hast du deine Hauptfigur von Anfang an so intensiv gespürt oder hat sich das während des Schreibprozesses nach und nach ergeben?


Marcus Fischer: Elfi war sehr früh da, vor allem ihre „dunklen“ Zustände. Da konnte ich mich zum einen gut hineinversetzen, zum anderen sind aber auch Gespräche und Interviews eingeflossen, die ich geführt habe. Unter anderem mit einer Bäuerin, die in den 80er Jahren von einem Tag auf den anderen schwer depressiv wurde. Ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen bestand darin, sich Szenarien zu überlegen, wie sie sich so umbringen könnte, dass es nach einem Unfalltod ausschaut. Wenn man sich dann noch vorstellt, dass Depression damals nicht als Krankheit erkannt wurde, kann man sich vorstellen, wie aussichtslos so eine Situation ist. Man hat ja damals vom Arzt nur Schlaftabletten verschrieben bekommen und gute Ratschläge in Richtung, man soll sich zusammenreißen und nicht so gehen lassen.


Trotz des schweren Themas liest sich der Roman sehr flüssig und vor allem spannend. Mit dem angeblichen Selbstmord von Elfis Vater scheint ja etwas nicht zu stimmen, und auch die Beschreibung der einzelnen Dorfbewohner hat bei mir dazu geführt, dass es mich stellenweise so richtig gegruselt hat beim Lesen. Dass man da so intensiv mitlebt, liegt vor allem daran, dass du Klischees vermeidest und genau beobachtest, ohne selbst zu werten. Wie hast du dich deinen Figuren genähert? Ich nehme an, dahinter stecken viele Gespräche, viel Recherchearbeit?


Marcus Fischer: Elfi und ihre Gegenspieler, der Firnbichler und seine Frau, waren für mich der Ausgangspunkt. Zum Teil sind diese Figuren von realen Menschen beeinflusst, zumindest in ihrem Grundcharakter. Dass der Firnbichler und die Martha so übermächtig erscheinen, liegt auch an Elfis Wahrnehmung, weil wir die beiden ja sehr stark aus ihren Augen sehen. Zum anderen war der soziale Umgang miteinander damals einfach härter als heute. Ein älterer Herr aus der Steiermark hat das in einem Gespräch einmal achselzuckend als „harten Spaß“ bezeichnet, was wir heute als Mobbing und seelische Gewalt erkennen und beim Namen nennen können. Vieles von dieser Brutalität macht natürlich auch die Spannung im Roman aus, weil es Konflikte nährt.

Dein Roman ist durchaus ein feministischer Roman. Es geht um männliche Bevormundung und sexuelle Gewalt, es geht aber auch und vor allem um den Zusammenhalt zwischen den Frauen in der Rotte, der sich erst entwickeln muss. War dir das ein Anliegen? Zu zeigen, dass man mit vereinten Kräften durchaus die Möglichkeit hat, traditionellen Strukturen zu trotzen?


Marcus Fischer: Ich habe versucht, das Machtgefüge in dieser Rotte zu beschreiben – und das möglichst vielschichtig. Da gibt es die patriarchale Öffentlichkeit, in der Frauen weitgehend rechtlos sind, in der sexuelle Belästigung und Gewalt geduldet werden. Zugleich gibt es die Gewalt von Frauen gegen Frauen – Elfis Mutter Lisbeth missbraucht ihre Tochter körperlich und seelisch, Martha Firnbichler spielt ihre soziale Macht der Kleinbäuerin Elfi gegenüber auf jede erdenkliche Weise aus. Und natürlich üben auch die Männer untereinander Gewalt aus – wie die seelische Brutalität des „Alphatiers“ Firnbichler gegenüber dem „Schwächling“ Gernot. Elfi aus diesem Machtgefüge zu befreien, hier eine Lösung zu finden, die nicht aufgesetzt wirkt, hat gedauert, weil es innerhalb des Dorfes fast aussichtslos erschien. Letztlich führt die Unterstützung der gut ausgebildeten, selbstbewussten, von außen kommenden Eva die Wende herbei. Insofern war es weniger der Wunsch zu zeigen: „So geht’s!“ als der einzig plausible Ausweg in dieser Situation. Aber wahrscheinlich ist es unter solchen Umständen auch in der Realität der einzig mögliche Weg.

Wenn ich an manche Gemeinden in der Steiermark denke, in denen noch immer um den Grund gestritten und gedroht wird, wenn jemand stirbt, in denen Frauen noch immer vom Geld des Mannes abhängig sind und sexuelle Belästigung nach wie vor als etwas angesehen wird, das völlig normal ist und das man als Frau lächelnd erdulden soll, habe ich das Gefühl, dass sich noch immer viel zu wenig verändert hat. Wahrscheinlich hat mich dein Roman deswegen so angesprochen.

Wie siehst du das? Wie würde es Elfi im Jahr 2022 ergehen?


Marcus Fischer: Ja, manches hat sich verändert. Es gibt natürlich Ausnahmen – Frauen, die es schaffen, dank Erziehung, Beruf oder Bildung ihren eigenen Weg zu gehen. Und Männer, die sich den väterlichen und dörflichen Hierarchien und Rollenbildern entziehen. Aber es ist schwer, gerade wenn ein Hof dranhängt. Wenn diese Schritte nach vorn fehlen, kann sich diese Geschichte vielleicht wirklich auch heute noch so zutragen.

Und zu guter Letzt: Gibt es schon ein neues Projekt – und falls ja, dürfen wir schon etwas darüber erfahren?

Marcus Fischer: Ja, es gibt ein neues Projekt. Es wird um einen Mann gehen, der das Gefühl hat, sein Leben hätte auch ohne ihn passieren können. Während bei der Elfi eher die weibliche „Zurichtung“ in der Dorfgemeinschaft im Vordergrund stand, wird es hier mehr um die männliche „Zurichtung“ durch Arbeit gehen. Aber wie bei der Rotte bin ich hier zunächst einmal auf der Suche nach der stimmigen Sprache. Und das dauert.

Vielen herzlichen Dank für das Interview.



Hinweis: Eine Rezension können Sie in der neuen Ausgabe der Dialektzeitschrift MORGENSCHTEAN lesen.

 

Informationen zum Buch: Elfi Reisinger, eine junge Bäuerin, lebt Anfang der 1970er Jahre mit ihren Eltern auf einem kleinen Hof in der Rotte Ferchkogel, einer abgelegenen Siedlung im Voralpenland. Ihr Vater verschwindet eines Nachts, die Gendarmerie geht von Selbstmord aus. Durch den Tod des Bauern verschiebt sich das Gefüge in der Rotte. Die anderen im Dorf trauen den beiden Frauen nicht zu, den ärmlichen Hof weiterzuführen. Der Nachbar will den Grund für einen Spottpreis kaufen und setzt die Frauen immer mehr unter Druck. Als mit Elfis Hochzeit endlich wieder ein Mann an den Hof kommt, spitzt sich die Lage weiter zu und Elfi muss einen Weg finden, um sich aus diesem Machtgefüge zu befreien.

Es ist der unvergleichliche Sound von Marcus Fischer, der die Abgründe eines Provinzdorfes in seiner beiläufigen Brutalität zutage bringt. Die Erzählstimme ist mal einfühlsam, fast liebevoll, dann wieder spitzzüngig, immer dicht an ihren Figuren: fesselnd und berührend.



Marcus Fischer

Die Rotte

ISBN 978-3-7011-8251-0

€ 23,50 | 304 Seiten




 

Marcus Fischer, 1965 in Wien geboren, lebt als selbstständiger Texter und Autor in Wien. Er studierte Germanistik in Berlin und arbeitete einige Jahre als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, außerdem als Texter in Berlin und Wien. 2015 gewann er mit »Wild-Campen« den FM4- Kurzgeschichtenwettbewerb.


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