Nadia Rungger im Interview
Nadia Rungger, geboren 1998, lebt in Gröden/Südtirol. Ihr Debüt "Das Blatt mit den Lösungen" – Erzählungen und Gedichte erschien 2020 im Verlag A. Weger. Die Autorin erhielt bisher mehrere Auszeichnungen für deutsch- und ladinischsprachige Prosa und Lyrik, u. a. den Internationalen Literaturpreis
Im aktuellen Morgenschtean (U74–75/ Nov 2022) finden Sie ein Gedicht von Nadia Rungger in ladinischer Sprache.
Deine Muttersprache ist ja tatsächlich das Ladinische. Wie war das so als Kind? Wann warst du das erste Mal mit der italienischen Sprache konfrontiert und wann hast du Deutsch gelernt?
Meine Muttersprache ist Ladinisch, meine Eltern haben immer Ladinisch mit mir gesprochen und auch heute reden wir zu Hause nur Ladinisch. Mit Deutsch und Italienisch war ich durch das Schulsystem bereits im Kindergarten konfrontiert.
Es ist eine eigenartige Erfahrung, aufzuwachsen und irgendwann zu merken, dass die eigene Sprache bereits wenige Kilometer von zu Hause „aufhört“. Natürlich hat jede Sprache ihre Grenzen, aber der Radius der ladinischen Sprache ist ein besonderer; für mich schien er zunächst eng und wurde dann doch weit. Da die ladinische Sprache aus mehreren Idiomen besteht, beläuft sich die Anzahl der Sprecher:innen, die „mein“ Ladinisch sprechen, auf mehr oder weniger drei Dörfer. Zu den anderen Idiomen habe ich durch die Literatur Kontakte knüpfen können; ebenso zum Rätoromanisch der Schweiz. Ich beschäftige mich im Moment näher mit der ladinischen Sprache und ihren mehr oder weniger entfernten Nachbarinnen, für mich ein Prozess, die Möglichkeiten meiner Muttersprache neu zu definieren und ihre Bedeutung für mich und für mein Schreiben zu erfassen.
In welcher / welchen Sprache(n) wurdest du in den ersten Jahren unterrichtet?
Deutsch und Italienisch sind gleichgestellte Unterrichtssprachen, dazu kommen zwei Ladinischstunden pro Woche.
Ladinisch ist ja auch Amtssprache. Wie sieht es mit der ladinischen Rechtschreibung aus? Gibt es hier allgemein gültige Regeln? Und hält sich da jeder dran, oder gibt es bei privaten Notizen/ Korrespondenzen doch noch große Unterschiede?
Es gibt Grammatiken, Wörterbücher, Sprachprüfungen und Sprachzertifizierungen und somit auch allgemein gültige Regeln. Bei den wenigen Ladinischstunden in der Schule darf es einen aber nicht wundern, wenn die italienische oder deutsche Grammatik und Rechtschreibung besser gelernt werden als die ladinische. Ich zum Beispiel hatte ab der Mittelschule keinen Unterricht mehr in meiner Muttersprache, da ich eine Oberschule außerhalb der ladinischen Täler besucht habe. Nach einem Germanistikstudium kenne und beherrsche ich die deutsche Grammatik und Rechtschreibung besser als die ladinische.
In welcher/ welchen Sprache(n) schreibst du vorrangig?
Ich schreibe auf Deutsch und einiges auch auf Ladinisch. Aber die Frage, inwiefern sich das trennen lässt, beschäftigt mich. Ich denke, dass Mehrsprachigkeit mein Spiel mit Sprache sehr beeinflusst. Auch wenn ein Gedicht sich an der Oberfläche deutsch liest, waren andere Sprachen an seinem Entstehen beteiligt.
Abseits vom literarischen Schreiben verwende ich die Sprachen je nach Kontext. Einkaufsliste auf Ladinisch, Tagebuch auf Deutsch. Vielleicht für mich auch eine Möglichkeit, das Geschehene mit einer Distanz zu reflektieren.
Du hast 2014 an einem Ladinischen Literaturwettbewerb teilgenommen und auch gewonnen. Wie kamst du auf die Idee, dort mitzumachen?
Eine Freundin meiner Mutter, eine Ladinisch-Lehrerin, hat mich auf den Literaturwettbewerb aufmerksam gemacht. Das Thema war Vester ladins te n mond che muda (Ladiner:innen sein in einer Welt, die sich verändert). Ich habe zunächst einen Text über zwei Frauen geschrieben N di de plueia / Ein Regentag. Die junge Frau will auf Reisen gehen, während die andere zurück nach Hause fährt. Dann habe ich noch einen zweiten Text geschrieben, der sich kritischer mit dem Thema auseinandergesetzt hat, in der Form eines Dialogs zwischen zwei Freunden. Der Ladinische Literaturwettbewerb 2014 war mein erster Literaturpreis, eine schöne Erfahrung und ein wichtiger Schritt für mein weiteres Schreiben.
Besonders für eine kleine Sprache sind Literaturpreise sehr wichtig. Doch wir brauchen einen Diskurs, eine Rezeption. Eine Literatur lebt von ihren Texten, von ihren Autor:innen und vor allem auch vom Austausch mit anderen Literaturen. Ich bin davon überzeugt, dass Interesse da ist und wünsche mir für die junge ladinische Literatur, dass Möglichkeiten der Übersetzung geschaffen werden, damit sie über ihre sprachlichen Grenzen hinaus in einen Dialog treten kann.
Du hast bereits einige andere Literaturpreise verliehen bekommen, mittlerweile studierst du Angewandte Linguistik an der Freien Universität Bozen, davor hast du Germanistik in Graz studiert. Wie sehen deine weiteren Pläne aus? Bleibst du nun in Südtirol - oder ist das noch nicht sicher?
Für den Moment fühle ich mich hier sehr wohl, das Schreiben in dieser Umgebung, das Studium und die Beschäftigung mit der ladinischen Sprache gefallen mir und greifen gut ineinander.
Was danach kommt, kann ich noch nicht sagen.
Vor zwei Jahren erschien dein Debüt „Das Blatt mit den Lösungen“, ein Band mit Gedichten und Erzählungen. Wirst du bei der kurzen Form bleiben? Bzw. hast du vielleicht schon ein neues Projekt in Planung?
Ich schließe gerade ein Lyrikmanuskript ab, und wenn ich soweit bin, suche ich nach Möglichkeiten einer Veröffentlichung. Im Moment schreibe ich auch an einem längeren mehrsprachigen Prosatext, es gibt einige Projekte im Bereich der Lyrik und Lesungen. Im nächsten Jahr nehme ich an zwei Literaturfestivals statt. Die Einladungen haben mich geehrt und ich freue mich schon sehr auf den Austausch.
Vielen herzlichen Dank für deine Antworten!
Hinweis: Ein ladinischsprachiges Porträt der Autorin können Sie hier sehen:
Gedichte von Nadia Rungger,
(Hinweis: "paroles sutes y moles" hören Sie ab min 5:20)
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