»Seid deutsch – bleibt einig!«
Die Suche nach einem Stück steirsch-slowenischer Dialektliteratur für unsere aktuelle Ausgabe blieb leider erfolglos. Das hat Gründe – denn seit Ende der Monarchie war die slowenische Sprache in der Steiermark nicht mehr erwünscht.
[Text: Margarita Puntigam-Kinstner]
Ich bin auf der Suche nach einem Stück Dialektliteratur aus dem Grenzgebiet zwischen der Steiermark und Slowenien. Seitdem ich Texte aus der Steiermark suche, trudeln zwar allerlei Gedichte und Lieder in meinem Posteingang ein – auch der südoststeirsche Dialekt ist dabei –, aber auf meinen Aufruf, etwas im steirisch/slowenischen Dialekt zu senden, hat sich niemand gemeldet. Gibt es überhaupt Autor:innen, die in einem dieser Dialekte* schreiben?
Als ich mich ans Pavelhaus wende, kann man mir nur bedingt weiterhelfen. Josefa Prelog, eine Bäuerin aus Sicheldorf, habe zwar Lyrik geschrieben, heißt es, jedoch ausschließlich in slowenischer Hochsprache; außerdem sei sie vor einem Jahr verstorben.
»Wenden Sie sich an Rezka Kanzian, sie ist zwar Kärntner Slowenin, lebt aber in Graz und hat sich mit der Geschichte der Steirischen Slowen:innen lyrisch auseinandergesetzt«, rät mir Susanne Weitlaner, Obfrau des Artikel-VII-Kulturverein für die Steiermark.
Dobro jutro. So heißt Rezka Kanzians lyrischer Lauf durch die steirisch-slowenische Geschichte, der in dem 2. Lyrikband der Autorin (KRIVOPETNICA / HEIMSUCHUNG, Pavelhaus 2010, 88 Seiten + Audio-CD) erschien. Ich muss Google-Translate aufrufen, ich kann kein Slowenisch.
Ein paar Wochen später verabrede ich mich mit der Schauspielerin und Lyrikerin in einem Café im Grazer Bezirk Liebenau. Ich möchte Kanzian fragen, wieso es im steirisch/slowenischen Grenzgebiet keine zweisprachigen Ortstafeln gibt, wieso die steirischen Slowen:innnen – im Gegensatz zu jenen in Kärnten – so »unsichtbar« sind. Aus den Augen, aus dem Sinn, denke ich. Ohne meine Suche nach Dialektliteratur wäre mir diese Tatsache nicht einmal bewusst geworden.
Es ist ein regnerischer Tag. Wir können die Caféterrasse nicht nutzen und nehmen drinnen Platz. Rezka Kanzian, die 1969 in Rosegg (Rožek) in Kärnten zur Welt kam und seit vielen Jahren in Graz lebt, ist Autorin mehrerer zweisprachiger Gedichtbände, außerdem ist sie Mitbegründern des werkraumtheater, das von 1995 bis 2020 nicht nur zahlreiche Eigenproduktionen realisierte (wie etwa ab 2015 die Übü-Theater-Serie), sondern darüberhinaus der slowenischsprachigen Literatur im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Drugačne strani&strune / Andere Seiten&Saiten« in Kooperation mit dem Pavelhaus einen Raum bot, der in der steirischen Landeshauptstadt über viele Jahre hinweg einzigartig war.
Nach der Schließung des Theaters – bedingt durch die Folgen der Pandemie und nicht mehr fortgesetzte Förderverträge – musste sich die vielseitige Künstlerin neu orientieren. Sie emigrierte mit ihrem Arbeits- und Lebenspartner Franz Blauensteiner als »übüFamily« ins Internet, wo ihre gesellschaftskritischen Kurzfilme im Übü-Style zu sehen sind, die sich formal an die schrägen Ubu-Dramen des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873-1907) anlehnen, der als Wegbereiter des Absurden Theaters gilt. [siehe Video unten]
»Dass wir den Raum in der Glacisstraße aufgeben mussten, war sehr schmerzhaft. Aber ich komme dadurch auch wieder mehr zum Schreiben«, gesteht Kanzian, deren neuester Lyrikband »Angst / Strah« 2020 im Hermagoras-Verlag erschien.
Wir unterhalten uns über ihr Gedicht »dobro jutro« [zu lesen auf S. 10/11]. Rezka Kanzian muss es nochmals für mich übersetzten, Google Translate hat von Lyrik keine Ahnung. Das Gedicht sei ohnehin schwer ins Deutsche zu übertragen, erfahre ich, denn es sei auch eine Montage, mit Zitaten aus alten Volksliedern, Redewendungen und Teilen aus Partisanenliedern. Auch der Befehl »Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!«, den Hitler bei einer Ansprache in Marburg an der Drau nach Einnahme der Stadt an seine Offiziere richtete, hat Eingang in das Gedicht gefunden.
Für ihre Gedichte recherchiere sie oft sehr intensiv, verrät die Autorin.
Immer wieder begegnet man in der Lyrik Kanzians auch mythologischen Figuren, wie etwa der Baba Jaga im Gedichtband »Angst / Strah«.
»Ich plündere gern die slowenische Mythologie, in vielen meiner Gedichten findet man ihre, für mich sehr bild- und sprachsaftigen, Figuren.«
Bereits während ihrer Studienjahre hat sich Kanzian für die Belange der Slowen:innen eingesetzt. Gemeinsam mit Susanne Weitlaner organisierte sie die »Anderen Seiten&Saiten« im werkraumtheater – zweisprachige Veranstaltungen, bei denen, falls es keine Übersetzung der Texte ins Deutsche gab, versucht wurde, dem zum Teil auch deutschsprachigen Publikum über Gespräche mit den Autor:innen die slowenische Sprache und Literatur näherzubringen. »Susanne Weitlaner und ich waren damals Pionierinnen auf diesem Gebiet«, meint die Lyrikerin lächelnd.
Mittlerweile finden im Veranstaltungssaal der Steiermärkischen Landesbibliothek, im Rahmen des »Slowenischen Lesesaal«, regelmäßig slowenischsprachige Lesungen und Buchpräsentationen statt, auch ist das Angebot in Graz insgesamt reichhaltiger geworden. Das ist etwas Gutes – für das werkraumtheater allerdings bedeutete das vermehrte Angebot, dass die Konkurrenz wuchs, was es zunehmend schwieriger machte, selbst Lesungen dieser Art zu organisieren und zu finanzieren.
Auf die Frage, ob es steirische Slowen:innen gewesen seien, die im werkraumtheater gelesen hätten, schüttelt Rezka Kanzian den Kopf. Nein. Die Autor:innen seien zum Großteil aus Kärnten und Slowenien gekommen; unter den steirischen Slowen:innen habe es bis auf Josefa Prelog niemanden gegeben, der literarisch tätig war.
Anders als in Kärnten hat es in der Steiermark nie Kulturvereine oder eine andere Vertretung für die autochthone Volksgruppe gegeben. Dabei gaben bei der Volkszählung im Jahr 1951 insgesamt 87,9 Prozent der Bewohner:innen in Dedenitz an, eine andere Muttersprache als Deutsch zu haben. Zweimal – in den Jahren 1972 und 1974 – richtete Jugoslawien eine Note an Österreich wegen Nichterfüllung des Staatsvertrags. Der Artikel-VII-Kulturverein für die Steiermark, der seit 1995 seinen Sitz im Pavelhaus hat, wurde dennoch erst 1988 gegründet. Zweisprachige Schulen gab es nie. Heute wird Slowenisch immerhin als Frei- oder Wahlgegenstand angeboten; wer das Fach wählt, tut es zumeist aus Interesse, nicht alle kommen aus slowenischen Familien.
Die Geschichte der steirischen Slowen:innen verlief anders als die der Slowen:innen in Kärnten. Während die Karawanken eine natürliche Grenze bilden, war die Demarkationslinie zwischen Steiermark und Slowenien sehr lange unklar. Die Kämpfe entlang der Grenze waren blutig, auch von ihnen liest man in Kanzians Gedicht »dobro jutro«. Von 1918 bis 1920 stand Radkersburg unter Besatzung des Königreichs Jugoslawien (SHS-Staat). Nachdem das Gebiet endgültig Österreich zugesprochen worden war und die SHS-Truppen abzogen, galt es für die slowenische Bevölkerung zu beweisen, dass man Österreicher:in war. »Seid deutsch – bleibt einig!« – so die Aufforderung auf der Tafel, die 1920 auf dem Rathaus angebracht wurde [siehe Foto]. Selbst die Messen in slowenischer Sprache, die es anfangs noch jeden Sonntag gegeben hatte, wurden bald auf eine einzige im Monat reduziert. Wer Slowenisch sprach, tat es im Geheimen, niemand wollte den Unmut der Deutsch sprechenden Bevölkerung auf sich ziehen. In den Klassen, die oft mehr als 100 Schüler:innen umfassten, hatten Kinder nichtdeutscher Muttersprache – in manchen Dörfern betrug der Anteil der slowenischsprachigen Schüler:innen mehr als 50% – kaum eine Chance, dem Stoff zu folgen.
1941 wurde der Gebrauch der slowenischen Sprache schließlich zur Gänze verboten.
Ein paar Wochen nach meinem Treffen mit Rezka Kanzian unterhalte ich mich mit Susanne Weitlaner am Telefon. Sie erzählt mir Josefa Prelogs berührende Geschichte. Davon, wie die kleine Josefa von ihrer Lehrerin als dumm bezeichnet worden sei, bloß weil sie bei ihrem Schuleintritt kein Deutsch gesprochen habe. Prelog, die, 1926 in Sicheldorf (Žetinci) zur Welt gekommen, als Bäuerin tätig war, verspürte ihr Leben lang das Gefühl, ihre Intelligenz unter Beweis stellen zu müssen. Bereits als Volksschülerin lernte sie die Bürgschaft und andere deutsche Gedichte auswendig, später dann eignete sie sich die slowenische Schriftsprache an, denn Prelog hatte – wie die meisten – nur den Dialekt erlernt. Das Slowenische war Familiensprache, wenn es etwas zu schreiben gab, dann tat man es auf Deutsch. Der Dialekt der steirischen Slowen:innen – das war stets die Sprache der Ungehobelten, der Dummen. Und nicht nur das. Nach 1945 unterschied kaum noch jemand zwischen Slowenien und Jugoslawien. Auf der anderen Seite der Mur wohnte »das Böse« – so hat es auch mein Mann gelernt, der in den 1980ern in einem Dorf in der Südoststeiermark aufwuchs.
Seit dem Beitritt Sloweniens zur EU hat sich die Einstellung zur slowenischen Sprache geändert. Vielen tut es heute Leid, den eigenen Kindern die Muttersprache nicht mitgegeben zu haben. Jene, die beide Sprachen beherrschen, sind froh darüber, da es seit der Öffnung der Grenzen wirtschaftliche Vorteile bringt, dennoch hängt man die Zugehörigkeit zur autochthonen Volksgruppe noch immer nicht an die große Glocke. »Wer will schon zu einer Minderheit gehören?«, gibt Susanne Weitlaner zu bedenken.
Dass sich in der Steiermark nie ein slowenischsprachiges Zentrum herausgebildet hat, hat auch mit der Lage der Grenzdörfer selbst zu tun. Die steirischen Slowen:innen lebten immer entlang der gesamten Grenze, oft weit voneinander entfernt. Ganz abgesehen davon war der Süden immer schon ein strukturschwaches Gebiet, viele der steirischen Slowen:innen sind abgewandert, hauptsächlich in die nördlich gelegenen Industriegebiete. Jene, die blieben, gaben unter dem Druck, sich assimilieren zu müssen, an, sich als Österreicher:in zu sehen. Anders als in Kärnten, wo sich die Slowen:innen in unzähligen Kulturvereinen sichtbar organisiert haben, versuchen die Slowen:innen in der Steiermark nach wie vor, unter dem Radar zu bleiben.
Autochthone Volksgruppe?
Rezka Kanzian kann mit dem Begriff nicht mehr viel anfangen. Viele der Nachkommen leben heute in den Städten, gibt sie zu bedenken, slowenischsprachiger Unterricht sei auch in Graz gefragt. »Autochthone Gruppen lassen sich nicht nur auf einen Landstrich reduzieren«.
Bei unserem Treffen erzählt die Lyrikerin aus ihrem eigenen Leben, davon, wie sie als junge Frau nach Graz zog und bei jedem Besuch in der Heimat gefragt wurde, wann sie endlich wieder zurückkomme. Die Angst, die eigene Kultur und Sprache durch die Abwanderung der Kinder zu verlieren, sei damals, in den 80ern und frühen 90ern, eine sehr große gewesen.
Kanzian steht dem Umstand, dass manche Slowen:innen in Kärnten die eigene Kultur und Sprache richtiggehend zelebrieren, skeptisch gegenüber. »Dieser Zugang hat auch etwas sehr Nationalistisches, Ausgrenzendes«, meint sie.
Wie Josefa Prelog wuchs auch Rezka Kanzian auf einem Bauernhof auf – allerdings 40 Jahre später, in der Kärntner Gemeinde Rosegg im Bezirk Villach Land. Erst durch die Gespräche mit ihrem Mann, der in einem Arbeiterbezirk in Wien aufwuchs, sei ihr bewusst geworden, dass es ihre Zugehörigkeit zur slowenischen Sprachgruppe war, die ihr den Zugang zu kultureller Bildung ermöglichte. »Dadurch, dass es in Kärnten fast in jedem Dorf eine slowenische Kultureinrichtung gegeben hat, hast du als Kind automatisch die Chance bekommen, Theater zu spielen, in einem Chor zu singen oder ein Instrument zu lernen.«
Ohne den Rückhalt der slowenischen Gemeinschaft wäre ihr auch der Weg ans Gymnasium nicht offen gestanden. Damals gab es noch keine gute Verbindung ins 29 Kilometer entfernte Klagenfurt – dass sie als Kind einer Bauernfamilie das Internat besuchen konnte, habe sie der Hilfe der slowenischen Gemeinschaft zu verdanken.
Und doch. Die Entscheidung, ans Bundesgymnasium der Slowen:innen zu wechseln, war keine freiwillige. Kanzian erzählt von einem rechtsradikalen Lehrer, der sie diskriminiert und sogar mit einem Nicht Genügend benotet habe, weil sie zum Jahrestag der Volksabstimmung nicht gekommen sei, um das vereinbarte Gedicht aufzusagen.
»Das war zu einer Zeit, als es noch diese vom ›Alt-Nazi-Heimatdienst‹ organisierten ›10. Oktober Feiern‹ gab, sprich: extrem deutschnationalistische Veranstaltungen an jedem ›Gemeinde-Denkmal‹«, erinnert sich die Autorin und Schauspielerin. »Mein Vater wollte natürlich nicht, dass ich dorthin gehe, auch wenn die Schule das verlangte.«
Es sei ihr Onkel gewesen, der entschied, dass das Fass voll sei und seine Tochter und Nichte ans Bundesgymnasium für Slowen:innen wechseln sollten. 1987 schloss Rezka Kanzian die Schule mit Matura ab. Darüber müsse sie heute manchmal schmunzeln, gesteht sie. Es stand sicher nicht im Bestreben des Nazi-Lehrers, dass aus ihr eine Künstlerin und Aktivistin werden soll, eine, die dort hinsieht, wo es in unserer Gesellschaft schiefläuft, eine, die sich für Minderheitenrechte einsetzt und sich nicht den Mund verbieten lässt.
Dieser »Sprach-Nationalismus« in Kärnten, der habe sie seit jeher gestört – auf beiden Seiten. Wenngleich man natürlich verstehen müsse, das Slowen:innen sehr schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Sprachdiskrimminierung sei in ihrer Kindheit und Jugend noch an der Tagesordnung gewesen, Kanzian erinnert sich an Bezeichnungen wie »Tschusch« oder Rufe wie »Horuck übern Loibl«. Auch die Traumata durch die Nazi-Gräuel dürfe man nicht vergessen.
»Die heutige, junge Generation, beider Volksgruppen, ist zum Glück viel fluider, offener, reflektierter – weil drei- oder mehrsprachig«, meint Kanzian.
Wie es sich anfühlt, zwischen zwei Sprachen und Kulturen aufzuwachsen, die einander alles andere als wohlwollend gegenüberstehen, weiß Rezka Kanzian nur zu gut. Als Angehörige der Kärntner Slowen:innen hätte sie es nie gewagt »nur auf Deutsch« zu schreiben. Ausgangspunkt für ihre zweisprachigen Gedichtbände sei immer auch der Erhalt der slowenischen Sprache gewesen.
»Als Künstlerin wurde von mir erwartet, die slowenische Sprache und Kultur zu fördern. In der Sprache der Nazis zu schreiben, das kam damals noch einem Sprach-Verrat gleich.«
2006 erschien Rezka Kanzians zweisprachiger Gedichtband »cvet na gnojišču / Schattenblüten«, 2007 erhielt sie den Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten. »Das hat mich sehr beflügelt und mir Mut gemacht, diesen Weg weiterzugehen«, gesteht die Lyrikerin.
In den zweisprachigen Gedichten, die zum Teil auch als Unterrichtsmaterial herangezogen werden, bildet Kanzian die sprachliche Zwischenwelt ab, in der sie selbst aufgewachsen ist.
»In Südkärnten ist es ganz normal, dass der eine Slowenisch spricht und der andere auf Deutsch antwortet.«
Auch den Kärntner Rosentaler Dialekt (rožanščina) lässt Kanzian in ihre Gedichte einfließen. »Auf Besuch in Kärnten« sei auch heute noch eines ihrer Lieblingsgedichte, lässt mich die Autorin wissen.
[Anm.: Das Gedicht, erschienen im Lyrikband Cvet na »gnojišču / Schattenblüten«, Pavelhaus 2006, einen Ausschnitt daraus können Sie >>HIER HÖREN]
Dass Maja Haderlap mit ihrem – in deutscher Sprache verfassten – Roman »Engel des Vergessens« (2011) einen solch großen Erfolg hatte, fühlte sich an wie eine Art Befreiungsakt.
In den letzten Jahren sei in ihr immer mehr das Gefühl aufgekommen, für eine Sprache entscheiden zu müssen, gesteht Kanzian »Nur wenige schaffen es, in beiden Sprachen zugleich literarisch tätig zu sein. Dafür benötigt man ein besonders gutes Gefühl für Sprache und Rhythmus.« Ein schwerer Verlust sei für sie der Tod ihres Kollegen Fabjan Hafner gewesen, der ihre Gedichte übersetzt habe. Ihm hat sie auch ein Gedicht in ihrem letzten Lyrikband »Angst/ Strah« gewidmet.
Als wir uns zur Redaktionssitzung treffen, um den neuen Morgenschtean zu besprechen, liegt Josefa Prelogs »Dokončnost (Neskončnost)/ Endlichkeit« auf dem Tisch. Auch Rezka Kanzians »dobro jutro« habe ich mitgenommen. Wir alle sind uns einig, dass das Slowenische ein Teil der steirischen Sprache ist. Auch wenn es streng genommen keine Dialektliteratur ist, entscheiden wir uns dafür, Prelogs Gedicht in den Literaturteil aufzunehmen. Lyrik von Rezka Kanzian im Kärntner Rosentaler Dialekt wird es hoffentlich bald in einer Morgenschtean-Ausgabe zu lesen geben – spätestens dann, wenn wir Dialektliteratur aus Kärnten vorstellen.
*
Persönliche Nachbemerkung: Zwei Tage, nachdem ich den neuen Morgenschtean an unsere Druckerei geschickt habe, trifft ein Paket vom Pavelhaus bei mir ein – mit Publikationen zur Geschichte der steirischen Slowen:innen. Ein Wochenende lang versenke ich meine Nase in »Die Sprache im Dorf lassen« von Andrea Haberl-Zemljič – eine wissenschaftliche Publikation, in der die Autorin dem Assimilationsdruck nachgeht, dem die Slowen:innen in den fünf Dörfern Dedenitz, Goritz, Laafeld, Sicheldorf und Zelting ausgesetzt waren.
Montags darauf erhält mein Mann ein Jobangebot in Mureck. Ich begleite ihn zum Vorstellungsgespräch. Als wir mit dem Auto in die kleine Stadt einfahren, zeigt mein Mann dorthin, wo die Hügel beginnen. »Schön ist es hier eigentlich nur auf der anderen Seite der Mur«, meint er. Dann lacht er auf. »Dort, wo ›das Böse‹ wohnt.«
Während mein Mann sein Vorstellungsgespräch absolviert, spaziere ich durch den Ort. Mureck präsentiert sich an diesem Tag in seinem besten Kleid, der Frühling ist zurückgekehrt, in den Gärten blühen die Bäume und Sträucher. Ich schlendere die breite Straße entlang, am Rathaus vorbei, auf die Hügel zu. Am Ende der Straße angekommen, gehe ich auf die Brücke zu. Ein Polizeiwagen steht an der Grenze, der Posten ist unbewacht. In der Mitte der Brücke bleibe ich stehen und blicke auf die Mur. Denke an die Abwehrkämpfe, die hier stattfanden. An den Hass, der hier geboren wurde und der zum Teil noch immer nachwirkt – auf beiden Seiten.
Die restlichen Meter sind schnell gegangen. Am Ende der Brücke stoße ich auf eine Pekarna. Davor vier Männer auf Stühlen, die sich auf Slowenisch unterhalten. Ich frage mich, ob es irgendwann ein Europa geben wird, das ohne Grenzen auskommt. Eines, in dem auch die Sprachübergänge fließende sein dürfen.
* Die steirischen Slowen:innen und ihre Dialekte:
> Im Westen an der steirisch-kärntnerischen Grenze auf der Soboth (Sobota), in Laaken (Mlake) und in Rotwein (Radvanje). In dieser Gegend wird der der kärntnerisch-jauntalerische Dialekt gesprochen.
> In den Orten rund um Leutschach (Lučane) - Schlossberg (Gradišče) , Großwalz (Veliki Boč), Glanz (Klanci) und Spielfeld (Špilje). Dort spricht man den nordsteirischen Kosjak-Dialekt.
> Nördlich von Radkersburg in den fünf Dörfern Goritz (Gorica), Dedenitz (Dedonci), Laafeld (Potrna) , Zelting (Zenkovci) und Sicheldorf (Žetinci). Hier wird eine Mischung aus den Dialekten des Prekmurje und des Gebietes der Slovenske gorice (Windische Bühel) gesprochen
Literatur:
– Rezka Kanzian: KRIVOPETNICA / HEIMSUCHUNG, Hörgedichte, Literar. Schriftenreihe des Pavelhauses Band 7, 2010
– Katalin Munda Hirnök, Susanne Weitlaner (Hg.): Ethnologisches Erbe und Kulturkreis der steirischen Slowenen, Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses, Band 9, 2005
– Andrea Haberl-Zemljič: Die Sprache im Dorf lassen, Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses, Band 6, 2004
– Heimo Halbrainer: Auf den Spuren der Portestanten, Juden, Roma und Slowenen in und um Bad Radkersburg, Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses, Band 2a, 2003
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