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Traude Veran: Gedanken zur Dialektdichtung


Gerade habe ich ein Büchlein mit Dialekhaiku herausgebracht, daher möchte ich meine Gedanken zum Teil an dieser japanischen Versform festmachen. Haikudichter*innen in Österreich haben schon öfters Dialektstrophen verfasst, die meisten von ihnen aber nur sporadisch und, so kommt es mir vor, ein wenig vorsichtig: Ja, derf ma denn des? Ich meine, all die vielfältigen Dialekte unseres Landes haben es sich verdient, in jeder Form der Lyrik ihre Wirkung zu entfalten. Liebe Dichterinnen und Dichter, gebt Euren Gedanken auch im Haiku so Ausdruck, wia eich da Schnowe gwoksn is! Andernorts geschieht es auch, und das recht erfolgreich:

In der letzten Zeit führte mich die Beschäftigung mit der Haikudichtung zu Texten aus dem Niederdeutschen. Das ist an sich kein Dialekt, besitzt aber innerhalb seiner Verbreitungsgebiete verschiedene Ausprägungen, also Dialekte.



In Pättkesfahrt ersann Pitt Büerken zunächst Haiku im Münsteraner Platt und fügte dann erst die hochdeutsche Version hinzu. Ich konnte all die geschilderten Episoden mit großem Vergnügen auch in meiner Heimat finden und übersetzte oder versetzte das Buch kurzerhand nach Wien: Radln auf Wegaln.


Das Land so weit von Gerhard Stein entstand als schriftsprachliche Version; Stein vertraute es Marianne Ehlers zur Übertragung in‘t Plattdüütsche an: Das Land so wiet. Dieses Werk, eine Liebeserklärung an Schleswig-Holstein in Haikuform, gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Es macht mich mit der Heimat meiner Schwiegertochter, die ich persönlich leider nie besucht habe, vertraut.


Die beiden Formen, die uns in diesen Werken begegnen, sind zwei recht unterschiedliche Dialekte des Niederdeutschen. Sie werden neben der Standardsprache gleichberechtigt verwendet und liebevoll gepflegt, vielleicht mehr noch als die Dialekte in manchen Regionen Österreichs.


Waune wos moch, wülle aa wissn, wose dua. Krame also ein bissl im sprachlichen Hintergrund.


Schreibregeln


Im Wienerischen kenne ich mich ganz gut aus – und selbst da geschah es vor kurzem, dass ich mit einer anderen Autorin über Kreuz geriet, was die „echte“ Aussprache betrifft. Die Unterschiede beginnen, wie ich nun weiß, bereits unterhalb der Bezirksebene. Von den vertikal aufgetürmten gar nicht zu reden. Das zeigt mir, wie verdienstvoll die Heroen der deutschen Sprache waren, die in den vergangenen beiden Jahrhunderten dem schriftlichen Ausdruck ein strenges Reglement verpassten – damals wie heute zum Leidwesen nicht nur der Jugend.


Glücklicherweise können wir unsere Dialektvielfalt in der Dichtung, besonders in der Lyrik, unbekümmert ausleben und aufschreiben, wie abenteuerlich auch immer. Dies bewerte ich als wohlverdienten Ausgleich für das strapaziöse, wenngleich notwendige Korsett, das uns die Firma Duden im schriftlichen Alltag anzulegen bemüht ist.


Ausdrucksweise


Der Dialekt ist eine sture alte Mähre und lässt sich von poetischer Raffinesse nicht antreiben. Er sagt, was er muss und er sagt es genau so, wie er will. Manchmal will er es kurz und prägnant. „Das dem Plattdeutschen innewohnende Lakonische und Unaufgeregte“ (Gerhard Stein) findet sich auch im Wienerischen:

weus woaris ... – nicht „Und das ist die Wahrheit!!“ (Veran)


Dialekt ist aber mehr: Er sperrt sich gegen jede artifizielle – man könnte auch sagen elaborierte – Ausdrucksweise. An den Wortarten fällt das sofort auf: Die Umwandlung in Nomen, ein häufig gebrauchtes – und verbrauchtes – Stilmittel, prallt an ihm ab:

ringsumher Stille > rundümto is‘t still (Stein)

nee owwer auk! > Überraschung! (Büerken)

ausn Fensta schaun > Blick aus dem Fenster (Veran)


Die Nomen vermeidende aktive Rede kann in manchen Fällen auch dazu führen, dass die Zeilen ein wenig länger werden:

tiefgefrorene Blätter / im Eis der Pfütze > Blääd sünd froren un liggt / in’t les vun’n Pool (Stein)


Hier wollte ich noch ein Beispiel von Büerken einfügen, aber – es gibt keines! Ist ja auch verständlich: Er fing in Platt an. Und da Verben in hochdeutsche Sätzen genauso gut hineinpassen wie Substantivierungen, musste er die Struktur beim Übertragen nicht verändern. Aber umgekehrt – die gestelzten Versalien lassen sich in Dialekttexte nicht hineinzwängen.


Beeindruckend, wie anschaulich Dialekt sein kann:

Zwei Kohlweißlinge / flattern eng umeinander – fladdert um un um tohoop (Stein)

da Schdrossnkeara / hod an Lenz – der Straßenkehrer / hat nicht viel zu tun (Veran)


Bei biedermeierlichen Texten wirkt die (moderne) Dialektfassung natürlich besonders drastisch:

Der Reif hatt’ einen weißen Schein / mir übers Haar gestreuet; (Wilhelm Müller, Die Winterreise 14: Der greise Kopf)

… sogoa meine schwoazn Hoa haum weiß gschimmat / wiara Heulichnschein

(Petra Sela, Winterreise weanarisch)


Die folgende Nachdichtung zeigt die ungebremste Kreativität, wenn es darum geht, einen Sachverhalt treffend, so knapp wie möglich und mit allerhand Ungesagtem im Hintergrund auszudrücken. Und auch in der schwärzesten Verzweiflung funkelt noch ein Stückerl Selbstverarschung. Das ist natürlich sehr wienerisch, aber mir scheint, ganz allgemein dämpfen Dialektgespräche die großen Gefühle gern ein wenig ab, damit es nicht peinlich wird.

So zieh ich meine Straße / dahin mit trägem Fuß (Müller, Die Winterreise 12: Einsamkeit)

wiara bleiane Antn hatsch i / duach de Schdrooßn (Sela)


Wortkarg und wortreich


„Wir haben kein unnötiges Wort zu verschenken“, sagt Pitt Büerken von seinem Platt. Das ist aber nicht alles. Dialekt hat noch eine andere, gegenteilige Funktion, und da gibt es genug überflüssige Wörter – bildhafte Ausdrücke, die so manchen Lyriker beschämen könnten: Kreative Beschimpfungen erleichtern die Seele. Irgendwie gehört die bleiane Antn auch hierher.

Mein Dialekt hat einen altmodischen Wortschatz, ich gehe ja langsam auf die 90 zu. Er entstammt der Zeit, als die Straßenbahnfahrer noch aus ihrem Kabuff aussegmoschgat haum, wahre verbale Wimmelbilder in den Verkehr streuten:

oide Schaaßdromme, Fetznschädl, Huangfrasta olle midanaund …


Öha, das allein ist ja schon ein Gedicht! Ich hoffe sehr, dass die zunehmende political correctness die Produktion zeitgemäßer Schimpfwörter nicht allzu sehr einschränken wird.


(Text: Traude Veran, 2022)


verwendete Literatur:

– Büerken Pitt: Pättkesfahrt. Kurzgedichte in japanischer Tradition auf Münsterländer Platt und Hochdeutsch. Agenda Verlag, Münster 2021

– Büerken, Pitt und Traude Veran: Radln auf Wegaln. Pättkesfahrt im Wiener Dialekt. Österr. Haiku Gesellschaft, Wien 2022

– Franz Schubert’s Werke. Kritisch durchgesehene Gesamtausgabe. Serie 20. Lieder und Gesänge. Neunter Band. Von der „Winterreise“ bis zum „Schwanengesang“ 1827 und 1828. Leipzig Verlag von Breitkopf & Härtel. Ausgabe 1895

– Sela, Petra: A braada Weg waun’s schneibt: “Winterreise” weanarisch. Mit CD. Edition Doppelpunkt / Erika Mitterer Gesellschaft, Wien 1999

– Stein, Gerhard: Das Land so weit / Das Land so wiet. 75 Haikus aus Schleswig-Holstein. In‘t Plattdüütsche överdragen vun Marianne Ehlers. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2014


 

Traude Veran, Geboren 1934 in Wien, gelernte Sozialarbeiterin, Psychologin, Erwachsenenbildnerin und Animateurin, arbeitete in Süddeutschland und einigen österreichischen Bundesländern, vor allem an der Integration behinderter und/oder benachteiligter Kinder.

Hat neben Fachbüchern etwa 30 literarische Bände verfasst bzw. übersetzt, vor allem Lyrik, aber auch Lokalhistorisches. Journalistische und Lektorentätigkeit, Mitarbeit an der Rechtschreibreform. Kunstfotografie, Collagen, Lesungen und Performances. Mehrere Auszeichnungen und Preise.

In den letzten Jahren befasst sie sich vor allem mit Haikudichtung und ist Ehrenmitglied der Österreichischen Haiku Gesellschaft ÖHG. Im Morgenschtean veröffentlicht die Autorin seit 1991.


In ihrer neuesten Publikation „Radln auf Wegaln“ hat Traude Veran die Haiku aus Pitt Büerkens "Pättkesfahrt" (Original im Münsterländer Platt) ins Wienerische übertragen, wobei sie die Gedichte nicht bloß transkribierte, sondern „transkreierte“ (wie Büerken selbst es nannte).



Eine Rezension von "Radln auf Wegaln" finden Sie im neuen Morgenschtean (U74-75/ erscheint im Nov. 2022)
















Morgenschtean – Die Österreichische Dialektzeitschrit

Hg von: Ö.D.A. – Österreichische Dialektautor:innen

Institut für regionale Sprachen und Kultur

Gumpendorfer Str. 15, 1060 Wien

Kontakt: morgenschtean@oeda.at

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