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"Viele meiner gesellschaftskritischen Texte entspringen einer Wut über allerlei gesellschaftliche Absurditäten"

Autorin und Performerin Jasmin Gerstmayr im Interview



Jasmin Gerstmayr. © Barbara Wenz, 2021


Wie bist du zum Schreiben gekommen? Was schätzt du an der Literatur?

Ich bin seit meiner Kindheit eine begeisterte Leserin und habe auch schon recht bald begonnen, Gedichte zu schreiben – einfach aus einem inneren Antrieb heraus.

Ich glaube, es ging und geht mir vor allem darum, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden und zu verfeinern: Wie kann man seinem Leben in menschenunfreundlichen Systemen Sinn verleihen? Was bedeutet Liebe? Wie ist mit der Endlichkeit des Lebens umzugehen, wie mit Leid? Nirgendwo wird die bunte Vielfalt möglicher Antworten, finde ich, spannender abgedeckt als in der Literatur. Dogmatischen Begründungen habe ich nie viel abgewinnen können – lieber genieße ich mein Leben als fortwährenden Prozess des Entdeckens, Verwerfens und Ergänzens … 


Wann ist der Dialekt in dein Schreiben eingeflossen?

Ich habe zwar schon immer gern hin und wieder ein Gedicht im Dialekt verfasst, jedoch nie ernsthaft mit Dialekt als Stilmittel gearbeitet – bis ich dann auf den Dialektlyrik-Band »Iba de gaunz oamen Leit« von Christine Nöstlinger gestoßen bin. Dieser hat mich sehr bewegt. Als würde meine Mama neben mir sitzen und mir Geschichten erzählen. 

Von da an hat mich die Begeisterung für Dialektliteratur gepackt – und nicht wieder losgelassen. Dialekt kann so viel, was Hochsprache nicht kann, und verleiht dem Text eine ganz persönliche Note. Ich habe das Gefühl, dass man mit Dialektgedichten Menschen auf eine sehr direkte Weise berühren kann. Und das ist es ja, was ich möchte: Menschen berühren; anregen, auf eine liebevolle Weise nach innen zu spüren, und dann nach außen zu schauen, vielleicht mit einem etwas ver-rückten Blick auf die Welt.


An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück?

Als Künstlerin unter anderem an die vielen tollen Auftrittsmöglichkeiten, die ich bereits hatte und für die ich wahnsinnig dankbar bin. Jede Performance macht mir einfach unglaublich Spaß, und es ist ein schönes Gefühl, nachher mit den Zuschauer:innen zu sprechen und zu erfahren, dass meine Texte wirklich etwas in ihnen bewegt haben. 

Ich freue mich auch immer, wenn wieder ein Belegexemplar einer Literaturzeitschrift oder einer Anthologie den Weg in meinen Briefkasten gefunden hat. Die eigenen Texte gedruckt zu sehen ist eine tolle Sache.

Privat erinnere ich mich zum Beispiel gern an fast alle meiner Geburtstage. Denn diese bieten mir eine gute Gelegenheit, mal wieder viele der Menschen zu sehen, die mir wichtig sind, und gemeinsam mit ihnen einen schönen Tag zu verbringen.


Du bist eine begnadete Performerin, darum finde ich es immer ein bisschen schade, wenn man deine Texte»nur« lesen kann. Was rätst du jungen Performance-Künstler:innen, worauf kommt es auf einer Bühne an?

Für besonders wichtig für eine gelungene Performance halte ich Authentizität und Mut zur Verletzlichkeit. Schlussendlich kann echte Verbindung zu anderen Menschen – also auch zum Publikum – nur entstehen, wenn wir uns trauen, auch unangenehme Gefühle auszudrücken, uns wirklich zu zeigen, in unserem nicht-perfekten, wundervollen Menschsein.


In deinen Texten geht es auch um feministische Themen. Mit einem Text über eine Frau, die von ihrem Ehemann regelmäßig geschlagen wird, hast du den »Mundarthunderter« gewonnen, in einem sehr lustigen Slamtext sprichst darüber, wie unsinnig es z.B ist, dass man in den Werbungen für Damenrasierer kein einziges Härchen sieht. Aber du schreibst auch sehr offen darüber, wie es sich anfühlt, sich in den Falschen zu verlieben oder wenn eine Beziehung in Brüche geht. Das macht deine Texte ehrlich und gleichzeitig gesellschaftlich relevant. Wie wählst du die Themen für deine Texte aus?

Am Anfang eines jeden Textes steht bei mir erst mal eine – mal starke, mal zarte – Emotion, die Ausdruck finden will. Mit dem Schreiben kann ich sie dann transformieren. Viele meiner gesellschaftskritischen Texte entspringen einer Wut über allerlei gesellschaftliche Absurditäten, die etwa mit Humor versehen einfach besser händelbar wird. Und zwischenmenschliche Beziehungen sind für mich sowieso eine nie versiegende Quelle an verschiedensten Gefühlen – genügend Material für viele weitere Gedichte ist also vorhanden. ;)


Du bist Teil der Interessengemeinschaft   Feministische 

Autorinnen (#igfem). Kannst du uns ein bisschen über den Verein erzählen und warum du dich entschlossen hast, Teil davon zu sein?

Bei der IG Feministische Autorinnen geht es uns v.a. darum – wie der Name schon sagt – Autorinnen zu fördern, die feministisch sind und in ihrer Arbeit bewusst einen sprach- und gesellschaftskritischen Zugang wählen. Dies ist mir ein wichtiges Anliegen, und ich genieße auch das gemeinsame Schreiben in den Online-Gruppen, auch wenn ich derzeit leider nicht allzu oft dafür Zeit finde.

Eines unserer neuesten Projekte ist die Anthologie »störfeuer«, die wir in unserer Edition #igfem herausgegeben haben, und in der ich gemeinsam mit vielen beeindruckenden Autorinnen vertreten bin.


Was liest du gerade? 

Zuletzt gelesen habe ich den Roman »Blauer Hibiskus« von Chimamanda Ngozi Adichie. Er gehört – gemeinsam mit »Die Hälfte der Sonne« (ebenfalls von Adichie) – zu meinen Lieblingsbüchern, die ich wieder und wieder lese, weil ich sie so unglaublich gut finde.


Woran arbeitest du derzeit?

Mein letztes Projekt war die Erstellung eines Zines mit zwei meiner Gedichte und selbst gestalteten Illustrationen. Zines sind Miniheftchen, die aus einem einzigen Stück A4-Papier gefaltet werden können. Bislang ist mein erstes Zine sehr gut angekommen, was mich natürlich voll freut. Ich biete es gegen eine freie Spende nach meinen Performances an, man kann mir aber gern auch einfach schreiben (ich versende sie auch per Post): kontakt@jasmingerstmayr.at

Ansonsten stehen auch wieder einige Performances an, auf die ich mich vorbereite. Es gibt nur wenige Texte, die ich mehrmals performe, weil ich einfach so gern schreibe und ständig neue Texte produziere. Im Prinzip stelle ich also für jeden Auftritt wieder ein eigenes Programm zusammen. Wer sich für meine Arbeit und Auftrittstermine interessiert, findet auf meiner Homepage (www.jasmingerstmayr.at) mehr Infos und auch Hörproben. Ich versende auch ca. alle zwei Monate einen Newsletter mit Neuigkeiten, Interessierte können sich gern auf meiner Homepage eintragen.


Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner, April 2023




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