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  • Zum 90. Geburtsag von Traude Veran

    Ein Schreibtisch mit einem riesigen Bildschirm – das ist das Erste, was ins Auge sticht, wenn man das Zimmer von Traude Veran betritt. Im Jänner hat die Schriftstellerin ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert, jetzt besuche ich sie in ihrer freundlichen kleinen Wohnung im Seniorenwohnheim auf der Wieden. Eine prachtvoll blühende Orchidee am Fenster, auf dem Bett liegt schon das Plakat für die Literaturvitrine bereit, die Veran gemeinsam mit einer anderen Bewohnerin jede Woche neu gestaltet. »Ich schaue, dass am Abend immer alles bereitliegt«, verrät mir die Autorin schmunzelnd. »In meinem Alter weiß man ja nie, was der nächste Tag bringt.« Wir nehmen an einem Tisch Platz, auf dem eine elegante schwarze Teekanne bereitsteht. Verans Hände zittern ein wenig, als sie mir vom Tee einschenkt. Dass sie ihre zweite Leidenschaft, das Fotografieren, leider aufgeben musste, erzählt sie mir. »Für meine Lichtbildvorträge suche ich mir das Material jetzt meist aus der Bücherei zusammen. Die hat ja zum Glück viel zu bieten.« Manchmal gestaltet Veran noch einen solchen Vortrag – für ihre Mitbewohner:innen und andere Interessierte. Im Haus Wieden freut man sich über ihr Engagement. »Dass ich mich gern mit dem Grätzl, in dem ich lebe, auseinandersetze, hat begonnen, als ich noch im Haus Rossau in der Seegasse gewohnt habe. Dort habe ich von meinem Fenster aus direkt auf den jüdischen Friedhof geblickt. Ich wollte damals unbedingt mehr über seine Geschichte herausfinden.« Aus Verans privaten Recherchen wurde schließlich ein Buch. »Das steinerne Archiv – Der Wiener jüdische Friedhof in der Rossau« [1] erschien erstmals 2002 im Mandelbaum Verlag, vier Jahre später folgte die überarbeitete Zweitauflage. Auf beinahe dreißig literarische Veröffentlichungen kann Veran zurückblicken, außerdem auf zahlreiche Fachpublikationen, Sachbücher und Übersetzungen. Breitet man ihre Bücher auf einem großen Teppich aus, so wie ich das gestern getan habe, fällt sofort die Vielfältigkeit und auch die Experimentierfreudigkeit der Autorin auf. Mein Koffer ist mittlerweile ziemlich schwer – zu Hause in Graz will ich mich nämlich näher mit Verans Werk befassen. Heute jedoch möchte ich Traude Veran persönlich kennenlernen. Es ist nicht nur die Schriftstellerin, die mich interessiert, sondern auch die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin, die für zwei Errungenschaften verantwortlich war, die mein eigenes Berufsleben als Pädagogin geprägt haben. Erstens: Das Integrationsgesetz für Schulen aus dem Jahr 1993, an dem sie federführend mitwirkte. Zweitens: Die Rechtschreibreform, die 1996 in ihrer ersten Form umgesetzt wurde, und bei deren Einführung sie sich beteiligte. Die Kraft der Worte Wenn du 1934 als Mädchen zur Welt kommst, ist dein Weg so gut wie vorgezeichnet. Deine gesamte Erziehung dient nur einem Zweck: Du sollst einen braven Mann finden, am besten eine gute Partie. Traude Verans Kindheitsjahre fielen in die Jahre der Nazi-Ideologie. Der große, der abscheuliche Krieg, der die Welt entmenschlichte. Vielleicht, denke ich, waren die fiktiven Geschichten ein bisschen wie ein unbeobachteter Schlupfwinkel, in den sich die kleine Traude zurückzog. Doch das Mädchen behält seine Phantasie nicht für sich, es lässt die anderen Kinder teilhaben. »Die Stimmung in den Luftschutzkellern war eine sehr bedrückende. Jeder hatte Angst und die Kleinen haben natürlich viel geweint. Meine Geschichten haben die Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Die Kinder sind an meinen Lippen gehangen, dafür waren mir die Mütter dankbar. Ich weiß nicht, ob den Erwachsenen meine Geschichten genauso gut gefielen wie den Kindern, aber sie haben mir aufmerksam zugehört. Vielleicht wollten sie aber auch einfach nur sichergehen, dass ich keinen Blödsinn erzähle«, erinnert sich Veran lächelnd. Traude Veran (geb. Gertraud Kotrc) und ihre Mutter sind auf der Flucht vor den Bomben. Von Wien geht es zuerst nach Vießling in der Wachau und dann nach Krems, anschließend flüchten die beiden weiter nach St. Johann/Pongau. Das erste Gedicht, an das sie sich erinnert? »Das entstand während ich auf einem Lastwagen saß, auf unserer Flucht, mit den Tieffliegern im Rücken. Ein Gedicht über einen blühenden Apfelbaum war das. Ein schönes Gedicht eigentlich. Das war wohl der Selbsterhaltungstrieb.« Vielleicht hatte die Flucht am Ende etwas Gutes. Zwar habe sie sich anfangs in der Hauptschule in St. Johann furchtbar gelangweilt, da ihre Klasse in Wien schon wesentlich weiter gewesen sei, im Gegensatz zu ihrer Mutter habe die Schwester ihres Vaters ihr Talent jedoch erkannt. Ihre finanziellen Zuwendungen und ihr Zuspruch ermöglichten es schließlich, dass Veran die Ausbildung zur Sozialarbeiterin machen konnte. Im Dienste der Benachteiligten Nach ihrem Abschluss mit Diplom bewirbt sich die junge Sozialarbeiterin bei der Kriminalpolizei. »Ich wollte Polizeifürsorgerin werden, aber ich war um zwei Zentimeter zu klein für den Polizeidienst. Dass ich auch anderswo keine freie Stelle gefunden habe, hat schließlich dazu geführt, dass ich begonnen habe, Psychologie zu studieren. Das war ja eigentlich gar nicht so geplant.« Während des Studiums arbeitet Veran im psychologischen Labor einer Psychiatrie sowie auch, zwei Jahre lang, in der Privatpraxis einer Kinderpsychologin, wo sie die Arbeit mit legasthenischen Kindern kennenlernt. »Dort gefiel es mir sehr. Für meine Dissertation musste ich zu Forschungszwecken allerdings wieder zurück in den psychiatrischen Bereich. Unter anderem habe ich auch in Steinhof geforscht, und zwar mit Schlaganfallpatient:innen, deren Sprachzentrum so beeinträchtigt war, dass man sie auf den ersten Blick für minderbegabt gehalten hätte. Wenn man sich aber Zeit nahm, war offensichtlich, dass sie intelligent waren und sich nur nicht artikulieren konnten.« Diese Erfahrungen prägen die Studentin. Fortan wird sich Traude Veran für Menschen einsetzen, denen aufgrund einer Beeinträchtigung jene Chancen verwehrt bleiben, die für andere selbstverständlich sind. Doch ganz so geradlinig ist ihr Berufsweg nicht. »Nach meiner Promotion kam ich in einem Industriebetrieb unter. An und für sich hätte ich dort als Unterstützung des Prokuristen tätig sein sollen, es stellte sich aber bald heraus, dass ich die Allerletzte der Schreibkräfte war.« Veran schmunzelt. »Wahrscheinlich hatte man ein bisschen Angst vor meinem Doktortitel. Mein Mann und ich haben dann beschlossen, dass jetzt vielleicht die passende Zeit für mich sei, Mutter zu werden.« Traude Verans Berufslaufbahn – sie ist ein Flickenteppich, wie der vieler Frauen ihrer Generation. Kaum wo angekommen, musste sie auch schon wieder aufhören. »Ich hatte ja bald zwei Kinder und dann noch zwei Großmütter sowie eine Urgroßmutter zu umsorgen, auch mein Mann brauchte mich sehr«, erinnert sie sich. Veran (verh. Gertraud Schleichert) lebt mit ihrem Mann zehn Jahre in Deutschland. In dieser Zeit ist sie unter anderem auch Lehrbeauftragte an der Universität Konstanz. »Nach meiner Scheidung habe ich abermals nach einer Stelle gesucht, in Deutschland jedoch keine gefunden. Also habe ich geschaut, was es in Österreich für mich gibt.« Die Leitung der Pädagogischen Akademie in St. Pölten habe sie damals besonders interessiert. »Ich hätte die Stelle wohl auch bekommen, aber letztendlich scheiterte meine Bewerbung daran, dass ich kein Zeugnis darüber ablegen konnte, ein Instrument zu beherrschen. Und mein Klavierspiel lag damals ja auch schon 20 Jahre zurück.« Veran schenkt uns beiden vom Tee nach und erzählt mir von ihrer ersten Zeit im Burgenland. »Damals haben sie Schulpsychologinnen gesucht. Im Waldviertel, in Vorarlberg und im Burgenland waren Stellen ausgeschrieben. Vorarlberg hätte mich durchaus gereizt, aber das Schifahren konnte ich mir als alleinerziehende Mutter nicht mehr leisten, und ohne den Schisport macht Vorarlberg doch irgendwie keinen Sinn. Im Waldviertel wiederum war es mir zu kalt.« Sie lacht. »Ich hätte mich auch für das Nordburgenland entscheiden können, aber ich habe mich sofort ins Südburgenland verliebt.« Ein Neuanfang als Schulpsychologin also. In Oberwart, im Jahr 1976. »Die Kollegin an meiner Seite war damals noch Berufsanfängerin. Das war mein großes Glück. Erstens sah sie die Dinge schon ein bisschen anders, und zweitens brachte sie den Enthusiasmus einer Anfängerin mit. Wir waren ja nur zu zweit, ich bekam damals noch den Bezirk Jennersdorf dazu, meine Kollegin Güssing.« Die Idee, eine Integrationsklasse zu starten, habe dann bei einem Pfarrfest ihren Anfang genommen. »Auf besagtem Fest lernte ich die Sonderpädagogin Brigitte Leimstättner kennen. Ihr Freund war der burgenländische Schriftsteller Peter Wagner. Mit den beiden entstand schließlich eine Freundschaft fürs Leben. Jedenfalls haben wir uns auf diesem Pfarrfest über die Integration von behinderten Kindern in Regelschulen unterhalten, diese Klassen gab es in anderen Ländern ja schon. Und dann ergab sich schnell der Wunsch, sich das genauer anzuschauen und auch etwas in diese Richtung zu wagen.« Freilich, die Eltern der betroffenen Kinder habe man schnell für die Idee gewinnen können. Aber die anderen überzeugen? Das war in Oberwart Anfang der 1980er-Jahre eine Herausforderung. »Selbst ich galt damals nicht als ›normale‹ Mutter. Ich war geschieden; während meine Tochter bei mir lebte, ist mein 15-jähriger Sohn in Deutschland geblieben. Das haben damals viele nicht verstanden. Eine unserer Mitstreiterinnen wiederum war mit einem Nordafrikaner verheiratet. Andere Sprachen war man im Burgenland gewohnt, aber es ging doch immer auch darum, woher man kam.« Wie schafft man es gegen alle Vorbehalte der Menschen und der Politik, die erste Integrationsklasse zu eröffnen – und am Ende sogar dafür zu sorgen, dass ein Gesetz verabschiedet wird? Traude Veran lächelt verschmitzt. »Wir haben damals einen Schulversuch ausgearbeitet. Anfangs noch sehr laienhaft, haben uns selbst mit unseren Vornamen vorgestellt. Neun Mal mussten wir den Plan insgesamt umschreiben, wobei man wissen muss, dass wir das Papier am Ende immer wegen Formfehlern zurückbekamen. Irgendwie hatten wir da schon das Gefühl: Man will das einfach nicht haben. Zum Glück war der damalige burgenländische Landeshauptmann sehr offen für neue Ideen. Und unsere Idee empfand er als besonders merkwürdig. Also hat er sich das angeschaut. Nachdem er z.B. ein hörbehindertes Kind kennen gelernt hatte, das obendrein als verhaltensauffällig galt, war er überzeugt. Also hat er sich für unsere Idee stark gemacht.« Von der ersten Integrationsklasse bis zur Rechtschreibreform 1984 wurde in Oberwart die erste Integrationsklasse eröffnet. An dem Projekt beteiligten sich insgesamt zwei Psychologinnen, zwei Lehrerinnen sowie eine Physiotherapeutin. Und natürlich die Kinder und ihre Eltern. Bereits 1985 fand dann das erste Symposium statt, mit insgesamt 300 Besucher:innen. »Das haben eine Wirtin und eine Servierkraft für uns organisiert. Vor allem die Servierkraft muss ich hier erwähnen, sie hatte es nie leicht im Ort, war obendrein mit einem Afrikaner verheiratet. Da begegneten ihr allerlei Vorurteile, und ein behindertes Kind hatte sie dann auch noch. Die Organisation des Symposiums hat ihr Aufwind gegeben, sie hat sich richtig reingehängt, kommuniziert, Quartiere gebucht … Später dann führte sie mit ihrem Mann sehr erfolgreich eine Disco.« Bis zur Umsetzung des Integrationsgesetzes sollte es  allerdings noch dauern. »Das Problem war ja vor allem, dass zu dieser Zeit die Unterrichtsminister ständig gewechselt haben. Kaum waren wir mit jemandem in guten Gesprächen, war er oder sie auch schon wieder weg«, erinnert sich Veran. 1993 war es dann endlich soweit. Die schulische Integration im Grund- und Sekundarschulbereich wurde gesetzlich verankert. Zwei Jahre später begann ich selbst als junge, noch auszubildende Pädagogin in einem Wiener Kindergarten zu arbeiten. Die erste Gruppe, in der ich mitarbeitete, war bereits »integrativ geführt«. 1995 fühlte sich das für mich an, als hätte es das immer schon gegeben. Dabei war es damals noch nicht einmal üblich, Kinder unterschiedlichen Alters in ein und derselben Gruppe unterzubringen. Viereinhalb Jahre später, Anfang 2000, wechselte ich in den Volksschulhort. Mittlerweile waren Integrationsgruppen der Standard. Was jetzt neu für mich dazukam: Um den Kindern bei ihren Hausübungen helfen zu können, brauchte ich wieder den Duden. Die große Rechtschreibreform, die 1996 eingeführt wurde – auch an ihr hat Traude Veran einsatzfreudig, aber leider ohne große Gestaltungsmöglichkeiten, mitgewirkt. »Meine Zeit im Burgenland endete, als meine Mutter an Demenz erkrankte. Irgendwann war klar, dass ich sie nicht mehr so lange allein lassen konnte, also musste ich zurück nach Wien«, erinnert sich Veran. Wieder eine neue Station – und wieder wird Veran ihre Fußabdrücke hinterlassen. Eine zufällige Begegnung mit Prof. Ernst Pacolt und ihre Frage, wie es denn mit der Rechtschreibreform vorangehe, bewirkte, dass man sie selbst mit ins Boot holte. »Ich hatte durch mein Studium der Sprachpsychologie und Linguistik ja eine Ahnung von der Materie, und durch meine Arbeit mit Kindern, die eine Rechtschreibschwäche hatten, konnte ich auch den praktischen Aspekt gut einschätzen.« Heute meint Veran schmunzelnd: »Hätte es die DDR damals noch länger gegeben, wäre die Reform wahrscheinlich schneller durchgesetzt worden. In der Schweiz und in der DDR war man der Reform gegenüber nämlich am meisten aufgeschlossen.« Die Literatur der Traude Veran Kann man die Schriftstellerin von der Psychologin und Sprachwissenschaftlerin trennen? Jedes Werk sollte natürlich auch immer für sich stehen dürfen – ohne dass Lesende sich mit der Biografie der Verfasserin auseinandersetzen müssen. Verans Gedichte sind selbsterklärend. Da gibt es die »Pendlerlieder«[2], die in jener Zeit entstanden, als Traude Veran im Burgenland arbeitete. 2005 erschien »Gras gesät auf den Asphalt. Gedichte aus dem Berufsleben«[3]. »Das war dann schon zu einer Zeit, als mir ein bisschen die Luft ausging«, gesteht Veran. Dazwischen veröffentlicht sie unter anderem Gedichte über die Liebe (»Efeublüten«[4]), Gedichte aus Namensanagrammen (»Letternfilter«[5]) oder auch Collagen aus der Tageszeitung »Der Standard« (»standART«[6]). 1997 erscheint »So gern ich Wien hab – an sich«[7], ein Jahr später folgt »Vertrackte Kontakte. Limericks aus Wien«[8]. Beide Bände, die von Hermann Serient illustriert wurden, sind ein wunderbar sprachverspielter, aber auch sozialkritischer Streifzug in das Wien am Ende des vorigen Jahrtausends. Anfang der 1990er-Jahre gründet Veran gemeinsam mit Petra Sela die Edition Doppelpunkt, in dieser Zeit entstehen auch erste literarische Einzelpublikationen. Verans Sprache wird selbst im Dialekt niemals wirklich derb. »gee nebm mia und sei schdüü / i biddi sog nix / ollaweu de rederei / gee nebm mia üwad schdrossn /und schau ob ka auto kummd / und hoidmi zuck waun ans kummd« beginnt eines ihrer Gedichte in »So gern ich Wien hab – an sich«. Es sind Gedichte, deren Inhalt sich erst nach und nach entfaltet – man weiß nicht immer gleich, was die nächste Zeile bringen wird. Da geht es etwa um die Angst, fortgeschickt zu werden. Um die Einsamkeit, wenn man nach Hause kommt und über die Patschen fliegt, die einem am Morgen von den Füßen gerutscht sind. Aber auch um die Wiener Gassennamen geht es, und auch politische Gedichte finden sich in dem Band, der nicht nur neue, sondern auch die älteren Texte von Veran zusammenfasst. 1998 folgt der Band »Mein Gott Österreich. politische Lyrik und subversive Monologe«[9]. In dem Buch findet sich unter anderem eine – 1983 verfasste – Antwort auf Ernst Jandls »schtzngrmm«. Nicht lustig sei es für sie, nicht lautmalerisch, meint Veran in ihrer Replik »es erinnert mich an die sauberen knochen / die wir weggeschleppt haben / aus dem schubertpark / aus dem aushub von splittergräben«. 1999 dann die nächste Sammlung mit politischen Gedichten (»Gegenstimme«[10]). Veran nimmt sich in ihrer Lyrik kein Blatt vor den Mund. Sie schreibt dagegen, »wenn zackige lieder / einigkeit demonstriern«[11], auch macht sie sich Gedanken über Unterschiede im Sprachgebrauch, in dem 1988 zwar etwa schon von »UNSEREN jüdischen MITBÜRGERN« die Rede war, aber noch immer von »behinderten MENSCHEN«, während man »im Zusammenhang mit dem Adjektiv SLOWENISCH« die Ausdrücke »MITBÜRGER, MITMENSCH oder MENSCH« in Kärnten kaum hörte[12]. Die meisten von Verans politischen Gedichten sind noch immer noch von großer Relevanz – gerade heute, gerade jetzt, wo wieder von der »politischen Mitte« gesprochen wird, der Veran bereits Weihnachten 1984 ein Gedicht widmete[13]. Der Dialekt bzw. die Wiener Färbung sind Teil von Verans Schreiben. Man findet sie in ihren frühen Gedichten ebenso wie in Publikationen der jüngeren Zeit. (2021 etwa übersetzte sie unter dem Titel »Radln auf Wegaln«[14] Pitt Büerkens »Pättkesfahrt«[15] aus dem Plattdeutschen ins Wienerische.) Wie sie überhaupt dazu gekommen sei, im Dialekt zu schreiben? Traude Verans Augen blitzen mir begeistert entgegen. »Sagt dir The Worried Men Skiffle Group etwas? Als ich die damals das erste Mal hörte, hatte ich das Gefühl: Jetzt ist unsere Muttersprache auch eine echte Sprache. Für mich war diese Gruppe ein Stern am Himmel!« Am Ende meines Besuches holt Veran einen dicken Ordner aus dem Regal. Gemeinsam reisen wir in das Jahr der ersten Morgenschtean-Herausgabe (1989) und noch ein bisschen weiter zurück. »Ich weiß gar nicht, wie ich damals von der Gründung der Ö.D.A. erfahren habe. Ob aus dem Fernsehen oder vielleicht doch von Erich Schirhuber. Ich habe von 1986 an drei Jahre lang an den Arbeitstagen der Mundartdichter in Kirchbach/Kärnten teilgenommen, ich kannte die Szene also ein wenig. An die Veranstaltungen dort denke ich besonders gerne zurück. Die Lesungen fanden auch auf Bauernhöfen statt und waren gut besucht, und man begegnete vielen anderen Menschen, die sich für die Dialektliteratur engagierten. Ich habe ja dann auch schon recht früh begonnen, im Morgenschtean meine Dialektgedichte zu publizieren.« Sich nicht bremsen lassen Traude Veran hat es stets gereizt, Neues auszuprobieren. Ihre Lyrik hat sich immer wieder gewandelt und neu erfunden; auch mit dem Medium Hörbuch[16] hat sich die Autorin auseinandergesetzt. Mitten unter diesen vielfältigen Publikationen findet sich auch ein schmaler rosa Gedichtband. In »Cindy.Erinnerungen«[17] widmet Traude Veran ihre Gedichte ihrer verstorbenen Hündin. In Verans Schreiben darf alles nebeneinander existieren. Da hat das Private neben dem Politischen Platz. Das persönliche Tagebuch neben dem preisgekrönten Gedichtband. Das gebundene Sachbuch, das in einem namhaften Verlag erschienen ist, neben der selbst gedruckten Broschüre. So manches Mal blies ihr deswegen auch ein rauer Wind entgegen. »Manche sehen ja auf einen herab, wenn man Projekte selbst oder nur mit einem sehr kleinen Verlag verwirklicht. Aber auf diese Menschen darf man nicht hören, auch wenn es natürlich weh tut«, rät Veran. Sich nicht von den eignen Vorhaben abhalten lassen, das war immer schon Traude Verans Credo – egal, ob es um das Integrationsgesetz oder um ihre Literatur ging. Auch die Österreichische Haiku-Gesellschaft hat Veran mitbegründet; heute ist sie Ehrenmitglied. Bei unserer Verabschiedung überreicht sie mir ihre letzte Publikation. Der schmale Haiku-Band »Das Chinesische Jahr«[18] mit der Nachdichtung alter chinesischer Weisheiten erschien voriges Jahr. Auch »Haiku schreiben – ein Weg der nie endet«[19] mit Silbenspielen und Versuchen über das Haiku von 1981-2021 ist gerade einmal vor einem Jahr erschienen. Während der Fahrt über den Semmering krame ich in meinem Koffer. Ich habe Glück – neben mir sitzt niemand, so dass ich Verans Werke alle auf einmal hervorziehen kann. Vor allem ihre politischen Gedichte und ihre Wien-Limericks haben es mir angetan, aber auch die selbst gebundene Publikation »Wassertropfen, Wasserleitung, Wasserfall«[20] gefällt mir sehr – und das Vorwort entlockt mir mitten auf der Strecke ein so lautes Lachen, dass man sich nach mir umdreht. Als ich am Grazer Hauptbahnhof wieder aussteige, um in den Bus nach Hause umzusteigen, denke ich: Vielleicht sollten wir alle ein bisschen mehr sein wie Traude Veran und die Dinge selbst in die Hand nehmen. Wenn es etwas (noch) nicht gibt, von dem wir meinen, dass es die Welt ein Stück besser macht, können wir uns immer auch ein wenig selbst darum kümmern. Wie sagte Doris Lesung angeblich einst: »Whatever you’re meant to do, do it now. The conditions are always impossible.« Margarita Puntigam-Kinstner, mit Dank an Traude Veran für das Gespräch ____________________ 1 Traude Veran: Das steinerne Archiv – Der Wiener jüdische Friedhof in der Rossau, Mandelbaum Verlag, Wien 2002, 20. Auflage 2006 2 Gertraud Schleichert: Pendlerlieder. Gedichte aus dem Burgenland. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Edition Doppelpunkt, Wien 1993 3 Traude Veran: Gras gesät auf den Asphalt. Gedichte aus dem Berufsleben. Cornelia-Goethe-Verlag, Frankfurt am Main 2005 4 Gertraud Schleichert: Efeublüten. Gedichte über die Liebe 1953–1993. Mit Federzeichnungen von Ingrid Kerzina. Edition Doppelpunkt, Wien 1994 5 Gertraud Schleichert: Letternfilter. Gedichte aus Namensanagrammen von Gran Mama. Reihe „Ausser der Reihe“, Edition Doppelpunkt, Wien 1994 6 Gertraud Schleichert: standART. Collagen aus der Tageszeitung »Der Standard«. 30 Tagesseiten. Reihe »Ausser der Reihe«, Edition Doppelpunkt, Wien 1996 7 Traude Veran: So gern ich Wien hab – an sich. Wiener Klangfarben. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Edition Doppelpunkt, Wien 1997 8 Traude Veran: Vertrackte Kontakte. Limericks. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Uhudla Edition, Wien 1998 9 Traude Veran: Mein Gott Österreich. Politische Lyrik. Edition Doppelpunkt, Wien 1998 10 Traude Veran: Gegenstimme. Politische Lyrik und subversive Monologe. Edition Doppelpunkt, Wien 1999 11 ebd. S 54 12 ebd. S. 70/71 13 ebd. S. 55 14 Pitt Büerken, Traude Veran: Radln auf Wegaln. Pättkesfahrt im Wiener Dialekt. Österr. Haiku Gesellschaft, Wien 2022 15 Pitt Buerken: Pättkesfahrt. Kurzgedichte in japanischer Tradition auf Münsterländer Platt und Hochdeutsch. Agenda Verlag, Münster 2021 16 Traude Veran: Ich rede in den Zungen der Sprachlosen. Sprach-CD. edition lex liszt 12, Oberwart 2019 17 Traude Veran:Cindy. Erinnerungen an einen Hund. Fotos und Zeichnungen. Lesedition, Wien 1997 18 Traude Veran: Das Chinesische Jahr. Eine Nachdichtung. Mit Kalligrafen von YU FENG, Österreichische Haiku Gesellschaft, Wien 2023 19 Traude Veran: Haiku schreiben - ein Weg der nie endet, Rotkiefer, Berlin 2023 20 Traude Veran: Wassertropfen, Wasserleitung, Wasserfall – eine Publikation zum Jahr des Wassers 2003, Selbstverlag Haus Rossau, Wien 2004

  • Morgenschtean-Präsentation in Wien

    Wir laden zur Präsentation unserer neuen Ausgabe! Am Donnerstag, 23. Mai 2024, um 20:00 im Café Anno in der Lerchenfelder Str. 132, 1080 Wien Es lesen: Jasmin Gerstmayr Eva Lugbauer Christine Steindorfer Christine Tippelreiter Der neue Morgenschtean liegt auf dem Büchertisch! ➡️ neue Ausgabe bestellen ➡️ Beilage lesen

  • »Das richtige Maß zu finden, ist eine Herausforderung«

    Vor einem Jahr erschien Eva Lugbauers Dialektlyrikband »faschaun farena fagee« nicht nur als Buch, sondern auch – vertont vom Mostviertler Duo »zoat« – als CD. Welche Dialekte haben dich geprägt und wo würdest du deinen Dialekt heute einordnen? Geprägt hat mich das Mostviertlerische – ein Dialekt, den ich eigentlich nicht besonders schön finde, aber die Muttersprache kann man sich naturgemäß nicht aussuchen. Lautmalerisch hat er allerdings seine Reize und es gibt einzelne Wörter, die mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen sind. Dschamsdara, zum Beispiel, ein Liebhaber – kommt leider gar nicht vor in meinem Gedichtband. Oder hinich, kaputt. Auch sehr gut: baganschgal, leichte Schuhe. Nicht zu verwechseln mit dem bandschal, natürlich, der unverbindlichen Liebschaft. Das schlichte schiach ist kein schönes Wort an sich, aber es sagt so viel und kein hochdeutscher Ausdruck kann alle Facetten dieses Worts abdecken. Dein Debütroman  »Und am Ende stehlen wir Zitronen« erschien 2018 im Wortreich Verlag,. vor einem Jahr kam dein erster Dialektlyrikband »faschaun farena fagee« in der Literaturedition NÖ heraus. Hast du immer auch schon Lyrik im Dialekt verfasst? Nein, vor diesem Gedichtband habe ich überhaupt nichts im Dialekt geschrieben, auch keine SMS oder andere Nachrichten, die schreibe ich nach wie vor nicht im Dialekt. Dialekt war für mich zum Sprechen da. Alles hat in einem verzweifelten Moment begonnen: Mir ist nichts eingefallen, über das ich im sogenannten Hochdeutsch schreiben wollte – eine Blockade, wenn man so will. Also habe ich meine Gemütslage im Dialekt aufs Papier gefetzt. Das war das Samenkorn und die Pflanze ist dann gewuchert. Wann entscheidest du dich für den Dialekt und wann für Hochsprache? Nach Gefühl und durch Experimentieren. Jedes neue Werk verlangt nach einer neuen Sprache. Die zu finden ist nicht immer einfach, auch Hochdeutsch hat ja viele Sounds und es braucht manchmal Zeit, bis ich den richtigen finde. Du arbeitest seit Jahren mit dem Duo »zoat« zusammen, die deine Texte vertonen.Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben? Wir haben uns zufällig bei einem Auftritt kennen gelernt. Die gemeinsame Arbeit und die Zeit, die wir zu dritt verbracht haben, um an der Musik und der Performance zu feilen, habe ich sehr genossen. Als Autorin arbeitet man ja sonst oft alleine in der Schreibstube. Hier die Köpfe von drei Künstlerinnen zu verbinden und gemeinsam an einem Werk zu schaffen, war sehr inspirierend und schön. Morgenschtean-Abonnent:innen haben den Schaffensprozess deines neuen Lyrikbandes ein wenig mitbegleiten dürfen, bereits 2021 gab es erste Kostproben daraus zu lesen. Wie lange hast du an den Gedichten insgesamt gearbeitet? Am Anfang sind ein paar Gedichte sehr schnell rausgesprudelt, daraus hat sich das Konzept ergeben. Beim Rest war es, als wäre alles schon da, und ich muss es nur noch freilegen. Das ist schnell gegangen, war in wenigen Wochen getan. Die Feinarbeit, das Abschleifen, Feilen an den Worten und das Anordnen der Gedichte hat dann noch etwas länger gedauert. Gibt es Dialektliteratur (oder auch -musik), die dich besonders anspricht – oder liegen auf deinem Nachtkästchen hauptsächlich Werke in Standardsprache? Im Dialekt kann man mehr die Sau rauslassen. Das macht Dialektliteratur aber auch anfällig dafür, zu ordinär oder zu emotional zu werden. Hier das richtige Maß zu finden, ist eine Herausforderung und es gibt nicht viel Dialektliteratur, die ich wirklich gut finde. Aber, wenn ich einen Namen nennen soll, dann H.C. Artmann. Seine Dialektgedichte sind kleine Meisterwerke. Sie liegen zwar meistens nicht auf meinem Nachtkästchen, haben aber einen fixen Platz im Bücherregal. Du gibst auch Workshops für Dialektlyrik. Welchen Ratschlag würdest du jungen Autor:innen mit auf den Weg geben, die im Dialekt schreiben möchten, aber es noch nie versucht haben? Egal ob im Dialekt oder nicht im Dialekt: Folg der Lust. Fühl den Sog. Und schreib. Selbstzensur kommt später. ____________________________ Eva Lugbauer: FASCHAUN FARENA FAGEE Dialektlyrik, mit Illustrationen von Katharina Zenger Literaturedition NÖ, 2023 ISBN: 978-3-902717-69-6 192 S. | € 24,00 Die CD »faschaun farena fagee« – unterlegt mit Melodien des Mostviertler Ensembles »zoat « – ist bei der Volkskultur Niederösterreich erschienen. Eine Leseprobe sowie einen QR-Code zur Hörprobe finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe.

  • KOID, WÄMA, HAAß | Karin Seidner

    Kennts ned zfuaß gehn? Oda radln? Iba d' Haisa Dziagn mid d' Öffis? Woam – wäama – haaß, des woa amoi a Kindaspü Äwig hea Abracadabra hüft a nix mea Miassn was tuan Ans und ans zomzön Hauruck und zomhöfn Applaudiern allanich is ned gnua Anstrengan hoid a bissl Schmäh ohne S is fünf vua zwöfe ä © Karin Seidner Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Günther Pilarz

    MEI LIABA SCHOLLI! Ualaub! I hob fost scho glaubt, dos de Hockn vua Weihnochtn goa nimma aufheat. Unsa Oida hot an Tango gmocht wia no nie und so wos vo aupresst, na hawederi. Waunns wenigstns woam gwesn warad, sei Feia unta mein Hintan. Stottdessn hots nua ghaßn: Da Rohbau muass featig varoaht sei, bevuas Christkindl kummt. Kane Fensta auf da Baustö, dafia a festa Zopfn! Söbst aum Heisl woas voi huschi und de Kleweln woan ollawäu eigfruan. Domit is jetz Schluss! Desmoi sitzt mei Popsch ned auf ana tiafkühltn Klobrülln. Deamoi hob i eam in an Fliaga plaziat. In a poa Minutn is soweit, daunn is da Winta vuabei. Austräliaa, aim kaming! Glei siach i mein Spezl wieda, nauch dreißg Joah! Jetz oba schnö duachn Zoi. Kuatl, huhu! Seawas, du oide Hittn. Wo foah madn hi? Glei zu dia ham? Supi! Oba ans is ka Bemmal do da, eicha Mittogshitz kaunns uanlich. Waunns ned gach a koids Bia gibt, hauts mi aus de Bock. Wos? Es is east Siebane in da Fruah? Zmittog is no vü haaßa ois jetz? Marandjosef! Moch kan Schmäh heast. Hauptsoch, du drahst dei Klimaaunlog auf. Hä? Wengan Klimawaundl bleibts ogschoitn? Domit ned zvü Klumpat ausn Auspuff blost? Gott sei Daunk, mia san auf deina Ränsch. Oha, do steaht jo a deitscha Spruch iba da Tia – TRITT EIN BRING GLÜCK HEREIN – no des moch i glott. Oida, in deine via Wänd hots jo genauso a Offnhitz wia in deina Tschesn. Wos sogst? Des gheat zua eichan Mastaplan gengan Klimakollaps? Do gibts ka kuul daun? Is ned woa! Geh, gimma schnö a Hopfnkompott, i vaduascht. Nauchhea? Du host dei Sauna aufdraht? Wia in oide Zeitn? Und unsare Spiagleia mochst auf de haaßn Staana? Aha, Enagiespoan sogt ma dazua. Echt? Jo bist du Moped! Heast, waunnst ma ned auf da Stö a küühls Blondes vaeabst, kaunnst de Eia auf meina Glotzn mochn. Du, Kuatl, mia is heit ned nauch Schweißln. I hob ma des ibalegt, fiah mi zruck zum Äapoat, duat is klimatesiat. In Rest vaschiabn ma aufs nexte Moi. Daunn kummst du ume. Ah, i siach eam scho, in Flughofn. Woa leiwaund, dos ma uns wiedagsegn hobn. Oba jetz haßts auzahn, de dan scho eitscheckn. Bleib sauba und hoit de Uahn steif! Pfiati! Lossts des Gät offn, bin eh glei do! Hallooo! Woats auf mi, i wü mit! »Schatzi, woch auf! Du redsd im Schlof. Nix is mit Australien, du bist daham in deina Hapfn. I haß a ned Kuat, i bin dei Fraudi, de Isolde. Host mi? Und jetz ausse, aus de Fedan, sunst moch i da Fiaß!« © Günther Pilarz Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Martina Kircher

    DÅ WERD MA HA:AS Ålso i håb mein persönlichn Klimawåndl schon hinta mia. Wår nit so schlimm – für mi hålt. Wias für di åndan woar, kånn i nit så:gn. Åba es redn no ålle mit mia. Åba hiatz is Muatta Erdn im Klimawondl und mia samma schuld. Wemma mia nua a bisale weniga umafliagn tatn und a bisale weniga hatzn tatn, war guat, så:gn se. Då werd ma ha:s! Freilich sollt ma ålle mitanond nit går aso wiastn. Mias ma wirklich ålles hå:bn, wås åndare hå:bn? Mias ma wirklich ålles tuan, wås åndare tuan? De Klimaleugna håbn jå a recht, wenn se så:gn, des werma nit ändan kennan, solång de Industrie und de Wöltmächte und Großkonzerne sovü:l Dreck må:chn in da Luft. Do werma mia på:r Östareicha di Wölt nit rettn. Klimawåndl håts ållweil schon gebn, Gletscha sand fri:ra a schon gschmolzn. Des si:gt ma, wenn do hiatz Bama und Hinige, wia da Ötzi, ausa a:pan aus:m Eis. Und vüle så:gn, wånns wärma werd, brauchnd se weniga hatzn und weniga in Urlaub fliagn, weil do ises ba uns a sche:n wårm. Då werd ma ha:s! Freili håbts es recht, åba den letztn Klimawåndl, de Muatta Erdn ghobt håt, håben anige Årtn nit ibalebt. Und seima uns ehrlich, mia Menschn seind a nit sehr ånpassungsfähig. Freilich kånn i aufs Schneeschaufln gern va:zichtn, aufs Eiskråtzn am Auto a. Åba i mechat nit umanondla:fn bei uns, wånn de Luft voll is mit Insektn, so groß wia Taubn, da Gårtn volla Wualtschker, riesige Å:masn und giftige Beißwürm. Auf de Berg aufesteign brauchst dånn a neamma, weil de ke:mman oba ins Tål. Ållweil Bådewetta manst? Wo werst denn noachand bådn gehen, wånn da See lei mehr a dreckate, lauwårme Låkn is und da Båch a neama rinnt? Oba i vasteh de Leit, wånn se så:gn: mia ke:mma nix dagegn tuan. Weil de, wås eps tuan khe:ntn, de:nnan is es wuarscht. Solang de a Geld vadi:nan und guat vaka:fn, wånn se Pickalan auf se:nane Såchn klebn: »klimafreundlich produziert« »klimaneutral« und åndare Augenauswischatexte. Und ålle derwegn no des blede Plastikgschreapach und de teppatn Stromfressa ka:fn. Då werd ma ha:s! © Martina Kircher Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Mara Original

    KLIMASCHNITZL Mol haß, mol kolt, mol is es windig, Des Klima is a bissl schwindlig. Waß nit genau, wos es hetz wüll, Mia is dos Wechsln anfoch zvül. Is ka Faloss auf Johreszeitn, Im Mai konnst auf kan Berg mehr steign, Weil Schnee no liegt, an Meta goa, Bold brauch ma ’s Haubal ’s gonze Joah. Konnst im Oktoba bodn gehn, Des Wetta is duat echt vui schen. De Sun de locht, a Summabriesn Straft drüba, üba unsre Wiesn. Es wochst des Gros, es blian de Bam, Man fühlt sich glei als wia daham. Oba richtig konn des olls net sein, De an a Pech, de ondan an Reim. Mol frostets uns de Ernte weg, Da Hogl schlogt des Korn in Dreck, Donn geht a Fluss mol wieda üba, De Nochrichtn volla Karastrophnbülda. A Erdrutsch und a Murobgong, De Kirchn mitn Chorgesong, Singt um de Opfa der Lawine, Vom Obgong auf de Burgruine. Wenn wia nit schaugn, weats passian, Des Klima weat uns hea panian, Als wie a Schnitzl in da Fetten, weichgeklopft, nit zum darettn. © Mara Original Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Thomas Schlager Weidinger

    schbeda (a schwaunengsaung) schbeda dan wa wås geng d’umwödfaschmudsung schbeda dan wa wås geng d’glimaeaweamung schbeda dan wa wås gengs årtnschdeam schbeda dan wa wås gengan hunga schbeda dan wa wås geng benochdeuligung schbeda dan wa wås geng d’ungerechdigkeid schbeda dan wa wås geng d’spoidung fon da gsöschofd schbeda dan wa wås geng de gschichdlfadraha schbeda dan wa wås gengan rechdsrugg schbeda dan wa wås gengan kriag schbeda dan wa wås gengs schbeda doa © Thomas Schlager-Weidinger Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Christine Neureiter-Schlack

    Kimm mit, ih zoag da was! Zwischn Kalifornien und Hawaii da soll a grouße Insel sei. Mechst mit mia amoi da hin? Waa unvergesslich, ah für dih! Wearst hiazt sagn: »Was soll dö Frag! Sicher, is doh beste Lag!« Guat, ih zoag dir was, kimm mit schau, wos d Insel oaissi biet: Grouß wia viermal s deutsche Land. Plastikfloschn – ohne Pfand, Zehn Meta tiaf türmt sih da Müll, s Klima dort is mächtig schwül, Neylonsackerl, Sisalschnia, dö bsundre Roas vagessats nia. Mittn draußt am Ozeo, wachst an neuche Insel an, halt gewiss a poor hundert Joahr, des Lem im Meer wird friara goa! © Christine Neureiter-Schlack Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Elfi Neubauer-Theis

    Bloß en Vergleich Wonn so e klons Vieh sich abmecht un rumwälzt weil en sei Fell juckt des arm Vieh en schlimme Ausschlag hot 's  kratzt sich dabbich un schleckt un butzt un beißt sich selwer un' s grummelt un grunzt un werd gonz bees un donn kummt aa noch en Omer Wasser un en Tritt, dass es grad so durch d' Gegend fliegt des arm Vieh … Stell dir vor: des Vieh isch die Erd un de Mensch sei Krätz. © Elfi Neubauer-Theis Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • KOID, WÄMA, HAAß | Harald Letonja

    des woa da summa di sunn üüwa da adria taucht unta in italien da summa mocht si auf zua nochtschicht in australien des san di tog, des is da summa und dea is goa net schlecht füü schtund mit freid und one kumma des mit uns zwaa deis wea ma recht da koite winta hot uns hoat gmocht mia san fost  festgfruan auf di sitz daun hot di sun doch nou ums eck glocht die hitz is kuman wii a blitz mia zwaa hom gmeakt es passt ois zauman ebbe und flut hom bei uns gwount di büda hom jetz neie nauman fiad nocht di sunn fian tog da mond des woan di tog, des woa da summa und dea woa goa net schlecht füü schtund mit freid und oone kumma des mit uns zwaa deis woa ma recht mit soizign wossa füüst a floschn dei poksts guat ein und nimmst mit haam damit wiast du mi üwaroschn draus mochst du eiswiafl dahaam und wenns im winta zu laung koit bleibt nimmst du zwaa fun di wiafl hea wenn in die glasln daun di flut schteigt daun is glei ois net mea sou schwea des woan di tog des woa da summa und dea woa goa net schlecht füü schtund mit freid und one kumma des mit uns zwaa deis is ma recht © Harald Letonja Texte zum Thema "koid, wäama, haaß!" gibt es auch in: Morgenschtean U80-81/ Mai 2024 (Informationen zur Ausgabe & Bestellung)

  • Dem Waldviertlerischem treu geblieben

    ChristiAna Pucher lebt schon lange in Tirol, sie ist Mitglied des Wortraums Imst und veröffentlicht seit vielen Jahren im Morgenschtean. Ihre Texte schreibt sie nach wie vor im Waldvierter Dialekt – in den sich einige Tiroler Wörter eingenistet haben. Im März wurde die Autorin 70 Jahre alt.​ Du bist in Drosendorf aufgewachsen, heute lebst du im Ötztal. Das ist dialektmäßig gesehen ein ganz schön weiter Sprung. Wann hast du begonnen, im Dialekt zu schreiben – und wo verortest du deinen Dialekt heute? Zum Schreiben kam ich erst 2011 bei einem Schreibseminar mit Annemarie Regensburger. Bis dahin schrieb ich lediglich Gedankenfetzen in ein Büchlein. Nach dem Seminar animierte mich Annemarie im Dialekt zu schreiben. Da in meiner Sprache  mein erlernter Dialekt immer im Vordergrund war, bin ich im waldviertlerischen Schreiben geblieben. In dieses sich in den letzten 50Jahren einige Tiroler Worte einnisteten. Wenn man den Morgenschtean aufschlägt und deinen Namen liest, fällt sofort das große A auf. Wie bist du auf diese Schreibweise deines Namens gekommen? Eigentlich war es meine Erkenntnis, dass mein parasitärerer Zwilling, der mir in meiner Jugend entfernt wurde, ein Teil von mir war und immer noch zu mir gehört. Dadurch wurde mein erstes a im Namen groß. Nun ist er eingebunden in meinem Namen: ChristiAna. 2019 warst du Preisträgerin in der Kategorie »Lyrik« des Forum Land Literaturpreis. Hast du immer schon Lyrik geschrieben, oder gibt es auch Prosatexte von dir? Prosatexte schreibe ich wenige. Hauptsächlich Kurzgeschichten aus meinem Leben, für die Familie zur Nachlese nach meinem Tod. Aber im Herbst 2023 wurde ich von der Jury des Karl-Pömer-Preis der Gruppe »neue mundart« mit dem dritten Platz überrascht. In deinen Texten beschäftigst du dich unter anderem mit dem Rollenbild der Frau. Was hat sich deiner Meinung nach in den letzten 50 Jahren gebessert, und wo sind wir noch immer viel zu weit vom Idealzustand entfernt? Der Wert des weiblichen Menschenbildes hat sich in den letzten 50 Jahren nur ein bisschen gebessert. Zumindest werden wir Frauen manchmal bei Deutsch-Sprechenden, mit -Innen erwähnt. Formt Sprache nicht unsere Gedanken? Gedanken führen zu Handlungen. Handlungen sind ein Teil der Realität. Wenn Frauen in der Sprache nicht erwähnt werden, werden auch ihre Leistungen übersehen. Darum müssen wir Frauen und Mütter, auch Männer und Väter unsere Kinder so erziehen, dass Frauen in der Gesellschaft den gleichwertigen Rang haben wie Männer. Du bist Mitglied des IDI und auch des »Wortraum Imst«. Ihr gebt gemeinsam Publikationen heraus, regelmäßig tretet ihr auch bei Lesungen auf und beteiligt euch an Ausschreibungen von Literaturzeitschriften. Was bedeutet es für dich und dein Schreiben, Teil einer größeren Autor:innengemeinschaft zu sein? Es bedeutet für mich, sich Zeit nehmen, ein Dasein für uns Frauen. Es ist ein gegenseitiges Stützen, Stärken und vor allem ist es für mich immer noch bereichernd, das Arbeiten an unseren Textarbeiten und sonstigem gemeinsamen Tun. In den letzten Jahren erreichen uns wieder vermehrt Texte von jungen Autor:innen, die den Dialekt für ihre Literatur (wieder-)entdeckt haben. Welchen Ratschlag würdest du Ihnen geben? Welche Stolpersteine sind dir selbst begegnet – gerade als jemand, der sich zwischen den Sprachwelten bewegt? Es erfreut mich sehr, dass es immer mehr weibliche Literatur auf den Büchertischen zu finden ist. Einen Ratschlag? Den dialektschreibenden Frauen und Männern kann ich leider keinen weitergeben. Vielleicht, selbstbewusst im eigenen Stil, in eigener Sprache zu schreiben. So wie ich in meinen Waldviertlerisch mit Tiroler Einistungs-Dialekt. Zum Abschluss noch eine Frage an dich als Leserin: Gibt es ein Lieblingsbuch von dir?  Und falls dieses in Hochsprache ist – kannst du uns noch ein zweites Buch im Dialekt empfehlen? Das faszinierendste Buch, das ich gelesen habe ist: »Die Frau in der mittelalterlichen Stadt« von Frau Professorin Erika Uitz. Sie beschreibt, warum und wie sehr Frauen im Mittelalter an der Emanzipation des Bürgertums beteiligt waren. Meine Lieblingsbücher im Dialekt sind die Lyriken von Annemarie Regensburger und von Angelika Polak-Pollhammer. Ich mag ihre kurzen prägnanten Gedichten, die voll mit Leben und Kritik gespickt sind. Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner, April 2023

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