6 Fragen an Georg Großmann
1) Warum Literatur?
Obwohl ich in einem lesenden Umfeld aufgewachsen bin und Schulaufsätze meine Stärke waren, hat meine wirklich eigenständige Beschäftigung mit Literatur erst in meiner späten Schulzeit Gestalt angenommen. Während meiner VWA, die ich über die surrealen Bildwelten in David Lynchs Filmen geschrieben habe, bin ich in den Surrealismus eingetaucht und bald auf "Die Gesänge des Maldoror" von Comte de Lautréamont gestoßen (der ja als Vater des Surrealismus bezeichnet wird). Diese Lektüre stellt eine Zäsur dar; sie widersprach so ziemlich all dem, was ich aus der Schule oder dem Elternhaus gekannt hatte. Ich begann in einigen Zweigstellen der Büchereien Wien als Hilfskraft zu arbeiten, wodurch ich sozusagen an der Quelle saß. Ungefähr in diesem Zeitraum schrieb ich erste Gedichte, zuerst "im Geheimen". 2017 sendete ich dann erstmals etwas ein und wurde im Spätherbst desselben Jahres zum Literaturwettbewerb zeilen.lauf in Baden bei Wien eingeladen. Das gab mir Mut, weiterzuschreiben und weiter einzuschicken.
Wiederkehrende Themen in meinem Schreiben sind Kindheit, Erinnerung und Traum, doch ich beziehe auf literarischem Wege auch Stellung zum Weltgeschehen.
Und nicht selten sind es Sprache und ihre Möglichkeiten, die mich antreiben; oft beginnt die Idee für ein Gedicht mit der Faszination für ein bestimmtes – mir bis zum diesem Zeitpunkt unbekannt gewesenes – Wort, das meine Fantasie beflügelt. Die Liste, in der ich diese Wörter sammle, ist mir ein unentbehrliches Werkzeug.
2) Warum Dialektliteratur?
Dialekt hat mich immer schon umgeben; ich hörte ihn zum einen in verschiedenen Formen aus den Mündern meiner Familienmitglieder (Schmonzes, moscherln, Gschloder) sowie Altersgenoss:innen (Heisl, meia, Füüzpapp‘n); zum anderen kam ich durch mein familiäres Umfeld mit Dialekt-Liedern und Filmen in Berührung. Meine Kinderohren waren an Musik von Georg Danzer, Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch, Maria Bill, Helmut Qualtinger uva. gewöhnt - ich hörte mit meiner älteren Schwester Josef Hader-Programme am mp3-Player. Zitate aus Kottan, Mundl, Muttertag, dem Album "Augustin" von Ambros/Prokopetz/Tauchen, u.a. waren schon früh Teil der innerfamiliären Umgangssprache.
Mein frühester Kontakt mit Dialektliteratur im Speziellen war also intermedial (Qualtinger/Artmann; Schwarze Lieder, etc.). Erst später habe ich dann Texte von H.C. Artmann, Ernst Jandl und anderen gelesen.
In meinen Texten nutzte ich Dialekt zunächst nur für direkte Reden, bis ich schließlich – u.a. inspiriert von Artmanns Gedichten und seiner Weise, Gesprochenes zu transkribieren – angefangen habe, im Dialekt zu dichten.
Dialektdichtung stellt jedoch gegenwärtig nur einen kleinen Teil meines Schaffens dar. Doch immer öfter suche ich in ihr nach Ausdruck. Zeitschriften wie bspw. Morgenschtean oder DUM, welche neuer und progressiver Dialektliteratur eine Plattform bieten, sind hierbei wichtige Stützen.
3) Gibt es Vorbilder?
Ich beschäftige mich mit verschiedenen Kunstformen, allen voran mit (avantgardistischen) Filmen (Jan Švankmajer, Alejandro Jodorowsky, Věra Chytilová ...), Bildender Kunst (Collage, Fotografie, Malerei) und natürlich Literatur. Meine Schreibimpulse wurzeln also nicht selten im Kontakt mit anderen Medien. Um den Rahmen nicht zu sprengen, gehe ich nur auf die literarischen Vorbilder näher ein; zu ihnen zählen beispielsweise Georg Trakl, Paul Celan, Franz Kafka, die Wiener Gruppe und ihr Umfeld, usw. Ich schätze Henry David Thoreaus poetische Essayistik – und auch Bruno Schulz' dünnes literarisches Werk habe ich ins Herz geschlossen.
In der zeitgenössischen Literatur gibt es ebenfalls einige Schriftsteller:innen, deren Werke ich bewundere. Clemens J. Setz ist ein Beispiel; "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" (Suhrkamp, 2015) ist einer der längsten und gleichzeitig einer der besten Romane, die ich bisher gelesen habe. Setz' Texte sind klar und flüssig wie Mozartpartituren und voller Vertrautheit, Poesie und Abgründigkeit.
4) Was liest du gerade?
Oft lese ich mehrere Bücher parallel, jedoch nicht mehr als drei oder vier, vor allem was Prosa und Essays betrifft. Die meisten Bücher leihe ich von den Büchereien Wien aus. Zur Zeit bin ich in Ana Marwans neuen außergewöhnlichen Roman "Verpuppt" (Otto Müller Verlag, 2023) vertieft. Nebenbei lese ich ein bisschen in Andrzej Stasiuks "Beskiden-Chronik" (Suhrkamp, 2020) und in Brita Steinwendtners poetischer Essaysammlung "An den Gestaden des Wortes" (Otto Müller Verlag, 2022). Ein Lyrikband, den ich vor kurzem gelesen habe und in dem ich noch immer begeistert blättere, ist "Schwestern im Vers – Zwiesprachen zwischen morgen und Frausein." von Dorina Marlen Heller und Sofie Morin (Edition melos, 2023); zusammen nutzen die beiden Schriftstellerinnen ihre Verse wie Umlaufbahnen, auf denen sie einander, sich selbst und die Welt umfliegen und formen dabei poetische Planeten, die dieses Buch zu einer kleinen Galaxie machen.
5) An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück?
Etwas, das zum einen Ausgleich vom Schreiben, zum anderen einen Nährboden für ebendieses bietet, ist das Collagieren. Es wirkt beruhigend, fast therapeutisch auf mich und ist erfüllend; ich empfinde es als intermediale Form des Dichtens. Mein Hauptaugenmerk liegt auf der Fotomontage und Fotocollage, speziell auf Schwarzweißfotografien. Die Bestandteile wähle ich aus einer Vielzahl illustrierter Druckmedien aus, welche ich auf Flohmärkten finde oder von Bekannten bekomme. Es ist spannend, verschiedene Bildelemente zu kombinieren und dabei meine inneren Traum- und Erinnerungswelten auszuloten. Zwei meiner analogen Collagen durfte ich bereits in zwei Kulturzeitschriften (UND; Ausgabe #10 - Titel d. Werkes: "Weidegänger", sowie tadaa Magazin; Ausgabe #9 - Titel d. Werkes: "Schmetterlingsfänger") veröffentlichen. Mein Instagram-Kanal (georg_groszmann_22) widmet sich zu weiten Teilen meinem bildnerischen Schaffen.
6) Woran arbeitest du derzeit?
Bei meinen Projekten ist es ähnlich wie mit den Büchern, die ich lese; ich konzentriere mich nur selten auf ein einziges. Meistens arbeite ich abwechselnd an verschiedenen "Ideenpools". Aktuell schreibe ich z.B. an einem Prosaprojekt, in dem die Fantasie- und Spielwelten von Kindern eine wichtige Rolle spielen (und die Realität der Erwachsenen maßgeblich beeinflussen), sowie an einem Lyrikband, der von meiner eigenen Kindheit und ihren Orten und Welten handelt. Aber vor allem feile ich noch an meinem dystopischen Romanprojekt mit dem Werktitel "Vending House", welches letzten Herbst mit einem Projektstipendium der Stadt Wien Kultur gefördert wurde. Mal sehen, wohin mich diese Reisen noch führen.
Eiaschwammalsoß
Söwa hom'mas broggd
de Schwammal
söwa woa'ma im stäu'hn
Woid und haum de glaana
mandarinanfoabanen Bühds gsuachd
hom des außaiadische Leichtn scho
vo da Weid'n g'seng
hom des Leicht'n aus da Ea'n g'schnied'n
und hahm dronng
und hom den G'ruach vohm Woid
mihdbrochd
Texte vom Georg Großmann finden Sie außerdem in den Ausgaben
U72-73/ 2022 und U74-75/ 2022.
Georg Großmann:
geb. 1995 in Wien, vorrangig Lyriker, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften (DUM, Die Rampe, Landstrich, mosaik, Am Erker, Morgenschtean, sfd&, u.a.) und Anthologien. Viermaliger Finalist des Literaturwettbewerbs „zeilen.lauf“ in Baden bei Wien. 2022 Erhalt eines Projektstipendiums für Literatur der „Stadt Wien Kultur“.
Analoger Collagist: @georg_groszmann_22
10.3..2023
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