"Das Spiel mit der Sprache macht mir Freude"
Die Mostviertler Lyrikerin Christine Tippelreiter im Interview
Du bist in Melk geboren und im Mostviertel aufgewachsen. Wann hast du im Dialekt zu schreiben begonnen und
warum?
Ich habe 1985 in Schriftsprache zu schreiben begonnen. Meinen Bekannten hat das gefallen und sie haben zu mir gesagt: »Schreib auch was in Mundart, wir wollen wissen, wie sich das bei dir anhört.« Mit meinem ersten Mundartgedicht »A guade Nochd« bin ich 1990 in OÖ. die Siegerin beim Wandl-Preis geworden.
Deine Dialektlyrik ist kurz und prägnant, vor allem aber sprachverspielt. Gab es da Vorbilder bzw. Werke, die dich beeinflusst haben?
Ich habe viele Jahre nach meinem eigenen Stil gesucht, weil mir die üblichen gereimten Mundartgedichte nicht gefallen haben. Was ich suche, ist meine eigene Kreativität. Das Spiel mit der Sprache macht mir einfach Freude und Spaß, weil ich die Sprache liebe.
In deinem neuen Lyrikband »fliagn kinna« geht es in vielen Gedichten darum, selbstbewusst durchs Leben zu gehen, nicht immer das zu tun, was andere von einem verlangen. Ist diese Thematik immer schon Motor deines Schreibens gewesen?
Mit 30 habe ich beschlossen: »ich will ich sein – lebenslang unterwegs auf der Suche nach mir selbst.« So hat mein erstes Gedicht gelautet, das mir wirklich gefallen hat, und ich habe gedacht: Das soll mein Schreibstil sein. In Mundart habe ich geschrieben: »scho mei gaunz Lebm laung suach i, owa hiazt woaßes, i suach mi«.
Du schreibst auch von der Kriegsgeneration – über das Grauen, das damals viele hinuntergeschluckt haben. Derzeit tobt wieder ein Krieg in Europa, auch die Bilder aus dem Gazastreifen lassen nicht kalt.
Ich erteile mir zeitweise Nachrichtenverbot, weil ich die Neuigkeiten aus den Kriegsgebieten nicht aushalte. Ich bin sprachlos, wütend und ohnmächtig. Viele haben im 2. Weltkrieg ihre Söhne verloren. Wenn ich denke, dass mein Sohn und mein Enkel in den Krieg ziehen müssten, ich würde verrückt werden.
Du hältst Momente nicht nur in Gedichten fest, sondern fotografierst auch. Von deinen Motiven kann man sich in deinen Gedichtbänden ein Bild machen, es gab aber auch schon Ausstellungen. Wann entscheidest du dich für die Kamera und wann für den Stift?
Mit der Kamera bin ich tagsüber unterwegs. Meine Freundin sagt oft: »Was du alles siehst!« Dichten kann ich besser in der Nacht, da gibt es keine störenden Geräusche, kein Telefonläuten, keinen überraschenden Besuch, etc. Ich bin nachts empfindsamer und blicke nach innen, das Erlebte verdichtet sich dann. Vieles hätte ich nicht geschrieben, wenn ich nicht nachtaktiv wäre.
Mir gefällt auch das Kleid deines neuen Gedichtbands, das kräftige Rot auf dem weißen Hintergrund. Die Neugier hat mich ins Impressum blicken lassen, wo ich festgestellt habe, dass die Künstlerin des Titelbildes »Brennende Rose« mit dir verwandt ist ...
Die brennende Rose ist von meiner Enkelin Selina gemalt, sie war damals vier Jahre alt. Ich mag es, wenn Kinder noch nicht gegenständlich zeichnen können, sie malen aus ihrem Innersten. Die Schneefrau auf der Rückseite ist eine Zeichnung meiner Tochter Manuela, als sie ungefähr genauso alt war. Die Mundart soll an unsere Kinder und Enkel weitergegeben werden, deshalb habe ich die Werke ausgewählt.
Du bist Leiterin und Gründerin der Autorengruppe
»Schriftzug 3250« sowie stellvertretende Vorsitzende der Ö.D.A. In deiner Region hast du schon viele Lesungen initiiert, auch Workshops an Schulen hast du schon abgehalten. Wie wichtig ist dir der Austausch in der Region – anderen Autor:innen, mit der Jugend und auch anderen Kunstschaffenden?
In der Dichtkunst gibt es kein Alter, nur eine Reife der Persönlichkeit. Beim »Schriftzug 3250« ist eine 80jährige, sie schreibt kraftvoll und ausdrucksstark. Dann wieder schreiben Jugendliche bei meinen Workshops mit einer Lebensweisheit, die mich staunen lässt. Ich habe in Deutschland, Südtirol und in jedem Bundesland in Österreich gelesen. Meine Mostviertler Mundart versteht man überall, ich frage immer bei den Zuhörer:innen nach.
Der Austausch mit Kunstschaffenden ist sehr bereichernd für mich. Ich besuche gerne Gemäldeausstellungen und fahre z.B. nach Wien, Linz oder Salzburg. Vor einiger Zeit wollte ich eine Lesung mit einer Komponistin veranstalten, leider musste unser Auftritt wegen Corona abgesagt werden. Wir werden das aber sicher nachholen.
Das Interview fand im April 2024 statt,
die Fragen stellte Margarita Puntigam Kinstner
Christine Tippelreiter:
FLIAGN KINNA
Innsalz, 2023
ISBN 978-3-903496-00-2
192 S. | € 17,60
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