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Eva Possnig-Pawlik: Die Weberin. Buchvorstellung und Lesung

Im Frühjahr 1936 glänzte der Schnee von der Koschuta und in den Alleen der Stadt barsten die Triebe in den Kastanien. Auch hier vor dem Landesgericht, beim Geschrei der Vögel, gaben sie ihre zerknitterten Blätter frei. Ein paar Tage davor wurde dir der Prozess gemacht.



Mehr als achtzig Jahre später. Carla ist fünfzig plus und geschieden. Seit ihr Sohn in Berlin studiert, lebt sie allein mit ihrer Katze in einer Wohnung nahe des Wiener Westbahnhofs.

Während Carla an ihrem Kaffee nippt, während sie sich in Boris, den russischen Hornspieler mit österreichischen Wurzeln, verliebt, ertrinken vor den Toren Eurpoas Menschen. Die Nachrichten kommen über das Handy zu Carla und sind jederzeit abrufbar.

Das politische Klima im eigenen Land, die Panikmache in den Medien, der immer stärker werdende Rechtsruck wühlen Carla auf. Das spiegelt sich nicht nur in ihren Gedanken wider, sondern auch in den Gesprächen mit Freundinnen. Carlas Blick verschiebt sich. In Klagenfurt springen ihr »Die Gerechten«* ins Auge, im Servitenviertel sind es »Die Schlüssel gegen das Vergessen«**. Wie hätte ich reagiert?, fragt sie sich. »Hätte ich auch so beherzt und mutig gehandelt?«

Eine Diskussion über die Aufnahmekapazitäten im reichen Eurpoa (Stichwort: Wir können nicht alle nehmen) führt schließlich auch zum Bruch zwischen Carla und Boris. Der Riss geht mitten durch die Gesellschaft, der Riss spaltet Familien, Freunde, Liebespaare.

Eva Possnig-Pawlik verknüpft in ihrem Debütroman das aktuelle Geschehen mit Carlas Familiengeschichte. Da gibt es Hans, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und des Schutzbundes, der 1936 zu achtzehn Monaten Kerker verurteilt wird. Und dann ist da Lina, die älteste Tochter des Militärkapellmeisters Wilhelm P., Carlas Urgroßvater, den es 1903 aus gesundheitlichen Gründen aus der k.k. Garnison Hermannstadt nach Klagenfurt verschlägt. Lina verliebt sich in den Juden Fritz, heiratet ihn und steht selbst noch zu ihm, als sie ins Ghetto in der Leopoldstadt übersiedeln muss und zur Zwangsarbeit auf den Müllhalden eingeteilt wird.

Und dann sind da Aloisia, deren an Epilepsie erkrankte Tochter 1941 zu einer Spezialbehandlung nach Brandenburg geschickt wird und nie wieder nach Hause zurückkehrt, und Apollonia, die Urgroßmutter mütterlicherseits, die Kärntner Slowenin, die von den Verschleppungen am Weißen Sonntag erzählt.

Eva Possnig-Pawlik erzählt in »Die Weberin« nicht von einem Schicksal. Nicht Hans ist es, den wir näher kennenlernen sollen. Auch nicht Apollonia. Die Fotografien, die Tagebücher, Briefe, Postkarten und mündlich überlieferten Erinnerungen formieren sich vielmehr zu einem Mosaik. Es ist der Versuch, die Wiederholbarkeit von Geschichte darzustellen. Aufzuzeigen, wie brüchig Demokratie ist und wie schnell das politische und gesellschaftliche Klima kippen können. Wie schell es geht, dass Menschen verfolgt werden – weil sie anders denken, anders aussehen oder einer anderen Religion angehören.

Ähnlich ihrer Protagonistin hat auch die Autorin für ihren Roman in der eigenen Familiengeschichte gegraben. Einige der Figuren, wie etwa Carla und Boris, sind frei erfunden, die geschichtlichen Fakten jedoch hat Possnig-Pawlik sehr genau recherchiert, und auch die persönlichen Schicksale der tatsächlich existierenden Vorbilder wurden von ihr so wirklichkeitsgetreu wie möglich dargestellt. »Obwohl es natürlich Leerstellen gibt. Diesen kann man sich nur poetisch annähern.«

Die fein gewobene, musikalische Sprache der Autorin ist es auch, welche uns Leser*innen durch den Roman trägt. Das Denken und Sprechen der handelnden Personen bleibt dennoch authentisch, denn Possnig-Pawlik lässt regionale Sprachfärbungen in die Dialoge und inneren Monologe einfließen. Das macht ihre Figuren liebenswert und lebendig.


links: Jubiläums-Stadttheater Klagenfurt, rechts: Eva Possnig-Pawlik, 28.5. 21. © Ö.D.A.



Spurensuche in Klagenfurt


28. Mai 2021, mittags. Ich bin mit der Eva Possnig-Pawlik vor dem Jubiläums-Stadttheater in Klagenfurt verabredet. Heute ist es 111 Jahre alt. Als Carlas Urgroßvater seine Töchter Lina und Anna dorthin mitnahm, war es noch neu. Die Schwestern bewunderten die Glastüren. Die Teppiche. Das Funkeln der kostbaren Luster, die Seidentapeten, das Blattgold-Dekor. Hier keimte in Lina der Wunsch, Schauspielerin zu werden.


Wir beginnen unseren Rundgang, spazieren durch den Schillerpark, in dem Wilhelm P. mit seiner schönen Tenorstimme das Trompetensolo aus der Aida gesungen hat. Danach überqueren wir den Heiligengeistplatz. Umrunden das Hotel Sandwirth, in dessen Hof das kleine Konzert stattfand, bei dem auch Lina mit ihrer Geige auftrat.

Vieles habe sie auf alten Fotografien entdeckt, verrät die Autorin. Anderes habe ihr der Vater erzählt.


Wir schlendern weiter, bleiben vor der alten Stadtmauer stehen.

»Die Farbe der Festungsmauer ist salbeigrün.

Vom Steinbruch der Stadt meiner Ahnen.

Efeuruten klammern sich an seine Wände.«

So heißt es in dem Gedicht, das dem Roman vorangestellt ist.

Lyrische Passagen gibt es viele in »Die Weberin«. Bisher hat man von Possnig-Pawlik vor allem als Lyrikerin kennengelernt, 2020 wurde ihr der 13. Kärntner Lyrikpreis zuerkannt.


Ich zücke die Kamera. Ein schnelles Foto, dann geht es weiter, Richtung Musikverein. Hier habe sich die Musikschule des Urgroßvaters befunden, erzählt die Autorin. »Die Stimmung, wenn man hier hereinkommt, die war schon immer eine ganz besondere.« Auch sie selbst habe hier Klavierunterricht erhalten. Und davor: »Musikalische Früherziehung nennt man das heute. Das Experimentieren mit den Orff-Instrumenten, das habe ich geliebt.«

Wir nehmen auf der Caféterrasse Platz. Zeigen unsere Getestet-Geimpft-Kärtchen und genießen die Sonnenstrahlen nach einer Reihe von Regentagen. Nach einer Zeit der Isolation beginnt das Leben wieder ein wenig wie früher zu werden.

Wir unterhalten uns über Politik, die Koalition, den Bundeskanzler, über die Sozialdemokratie, die sich nach dem Durchsetzen wichtiger sozialer Errungenschaften beinahe selbst abgeschafft hat. Dabei gäbe es noch so viel zu tun. Stichwort Armutsbekämpfung, Stichwort Chancengleichheit, Stichwort Solidarität. Aber die Angst ist schon immer ein besserer Stimmenfänger gewesen. Die Angst vor dem Fremden, die Angst, jemand könnte einem etwas wegnehmen.

Unsere Werte, die wir heute hochhalten, sind nicht nur christliche, sondern vor allem sozialdemokratische. Possnig-Pawlik erinnert in ihrem Roman daran.

»Johanna Dohnal, die hat mich in meiner Jugend besonders fasziniert«, verrät sie.

Nach dem Kaffee noch ein Abstecher zur alten Burg. Hier war die Kommandozentrale der Gestapo, heute beherbergt das Gebäude das Museum Moderner Kunst und die Kulturabteilung der Kärntner Landesregierung. Im Innenhof tummeln sich kleine blaue Siebenschläfer, sie stehen symbolisch für die entfallenen Kulturinitiativen und -produktionen während der Covid-Pandemie. Gegenüber Kaffeehausstühle. Auf einem Türschild der Name Stojanka, wie ich später herausfinde, gehört er zu einem kleinen Laden für Mode.


links: Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus, Künstlerin: Melitta Moschik.

rechts: "Die Mahnwache der Siebenschläfer" – eine Kunstinstallation des Stadttheaters und der IG KiKK zur Situation der Kunst während der Lockdowns. Künstler: Krystian Habdas.

Fotos © Ö.D.A.


Wir verabschieden uns an einer Straßenecke. Dass es jetzt hoffentlich bald wieder weitergehen kann mit den Lesungen, sagen wir.

Nach einem imaginierten Händedruck spaziere ich noch einmal die gemeinsam besuchten Orte ab. Stelle mir Lina vor. Und Carla. Natürlich Carla. Die nach Klagenfurt reist, um ihren Ahnen nachzuspüren. Die in den zweiten Stock des Innenstadthauses hinaufsteigt und dann doch nicht anklopft, um sich die Wohnung anzuschauen, von der Lina schrieb: »(…) ein rechter Luxus, wie der Herr Vater meint. Wir haben zwei Zimmer, eine Küche und sogar einen Balkon.«


Am Lendkanal blättere ich noch einmal durch die Kapitel. Lese, vergleiche. Denke an die eigene Familiengeschichte und auch an die politischen Diskussionen, die ich heute – gleich Carla – mit Familienmitgliedern und Freunden führe. An die immer wieder aufkeimende Frustration, die sich während solcher Gespräche manchmal einstellt.

Selbst als ich zurück nach Graz fahre, hängt mir Carlas Familie noch in den Gedanken. Und auch Tage später schleichen sich Possnig.Pawliks Figuren immer wieder in mein Denken.


»Die Weberin« ist ein Buch, das man nicht so einfach weglegen, gegen ein anderes tauschen und vergessen kann. Und das ist auch gut so.


Margarita Puntigam-Kinstner, Juni 2021


Eva Possnig-Pawlik: Die Weberin.

Roman, Verlagshaus Hernals, 2021

282 Seiten. € 24,90 ISBN 978-3-902975-85-0


* Die Klagenfurter Fotoausstellung "Allee der Gerechten" würdigte Menschen, die in der NS-Zeit Juden vor dem Tod gerettet haben.


** Die Schlüssel gegen das Vergessen sind eine in den Boden eingelassene Glasvitrine. Die 462 mit Namensschildern versehenen Schlüssel symbolisieren die während der NS-Zeit ermordeten und vertriebenen Menschen im Servitenviertel.


 

Eva Possnig-Pawlik liest aus "Die Weberin"

Textstelle: S. 237-239 –Carla reist mit Boris nach St. Petersburg, es ist der Abend vor ihrer Rückreise nach Wien.


 

Eine Lesung aus »Die Weberin« sowie ein Interview mit Eva Possnig-Pawlik finden Sie auch im Archiv von Radio AGora >> https://cba.fro.at/504082

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Hg von: Ö.D.A. – Österreichische Dialektautor:innen

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