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"POPANZ"

„Ich bin nur einer von den Epigonen, / die in dem alten Haus der Sprache wohnen“, sagt Karl Kraus in einem seiner bekanntesten Gedichte. Axel Karner könnte so etwas nicht von sich behaupten, denn weder ist er Epigone, sei es einer Richtung oder eines richtunggebenden Meisters, noch ist die Sprache für ihn bewohnbar. Das Haus der Sprache – in dem Kosmos, den sein jüngster Gedichtband aufspannt, ist es längst eingestürzt. Mauerreste stehen herum, Schutthaufen türmen sich dazwischen auf, und der Dichter begibt sich in den Ruinen auf die Suche nach Spuren und Überresten menschlichen Lebens. Was er findet, sind Gesprächsfetzen, Scherben von Worten, zerbrochene Spruchweisheiten, Sprachschutt unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Güte. Manchem Wort fehlt eine Silbe, manche stehende Phrase ist in Schräglage geraten, Hochtrabendes ist auf dieser Sprachhalde mit Vulgärem untrennbar vermischt; aus dem Englischen hat es diesen oder jenen Brocken hereingeweht, aus verschiedenen heimischen Dialekten sind noch einzelne Wendungen stehen geblieben. So begegnet man hier unter einem Kirschbaum, der „einen beschwingten kropf“ trägt, „des sterbers birn“, während „einige fürbeter / bei den armenspeisungen sitzen“ und ein „seilschnalzer“ „illuminiert heimwärts / ins bezahlte sauerkrautloch“ trällert.

Kaum, dass man sich angesichts solcher Sprachklänge in heimatlichen Gefilden wähnt, steht man auch schon vor befremdlichen, albtraumhaften Gestalten, wie einem Innereienwirt, einem „mit beißender sehnsucht / baumelden vater“, einem „hoffnungshundsherrl“ und noch manch anderer armen Seele, die in einem verfallenden Körper gefangen ist. Eine nach der anderen, Gedicht für Gedicht, treten sie auf, vom Arschloch bis zum Zivilfahnder alphabetisch geordnet. Da ist ein Engelmacher und ein Fahnenträger, ein Glockenzieher und ein Henker, eine Köchin und ein Kapitalist, da sind Lügner und Leugner, ein Querulant und ein Scherenschleifer, ein Schneckensammler und ein Totengräber, ein Schriftsteller und – ihm nahe verwandt – ein Watschenmann. Allerdings erscheinen alle diese Figuren weder im Porträt noch im Selbstporträt, sie haben weder Stimme noch Gesicht, weder ein erkennbares Schicksal noch eine nacherzählbare Biografie, sie sind ganz aus Sprache gemacht, Torsi einer unbewohnbar gewordenen Welt.

Bei Axel Karner rundet sich nichts zum Bild, seine Rede ist, wie Simon Konttas in seinem erhellenden Begleitwort schreibt, „rigoros, ohne Kompromiss, schmerzhaft unmusikalisch“. Der Autor kommt uns nicht einen Millimeter entgegen, und auch dort, wo wir in seinen Titeln vertraute Milieus und zum Klischee erstarrte Figuren vermuten, begegnet uns bei näherem Hinsehen nichts als eine bis in ihren innersten Grund verstörte, verwundete und zertrümmerte Sprache.

Von dem Schriftsteller, der in dieser Galerie von Torsi auftritt, heißt es, er würde „s wortblümlein säen / und s blöde nacherzähln“. Axel Karner macht in seinem neuen Band, in konsequenter Fortschreibung seiner bisherigen, das genaue Gegenteil: Er verweigert sich aller blöden, normierten, konformistischen Nacherzählung von Welt, sät keine Wortblümlein aus, sondern legt uns eine Spur, die aus den tausend Zuschreibungen und Zumutungen dieses Welttheaters mit seinen Larven und Lemuren hinaus und hinter die Kulissen führt, ins Leere, wo es keine Rollen mehr gibt und keine Antwort.

 


Rezension: Christian Teissl

erstmals erschienen in: Literarisches Österreich – Zeitschrift des Österr. Schriftsteller/innenverbandes, 2024






Axel Karner: 

POPANZ

Wieser Verlag, 2024

ISBN 978-3-99029-642-4

52 S. | € 18,90




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