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6 Fragen an Elisabeth Hafner


Elisabeth Hafner, Foto © Edeltraud Koinig

Warum Literatur?

Ich lese, seit ich lesen kann, es wurde zur lebensnotwendigen Quelle. Literatur kann mich froh stimmen, zum Weinen bringen und mir ein Fenster in eine unbekannte Welt öffnen. Mit guter Literatur überwinde ich Mauern und umrunde die Welt. Gute Literatur birgt Spannung und Entspannung, sie gewährt Trost, sie spricht vom Möglichen und Unmöglichen. Und das Wort, das ein Zauber in ihr wohne, wird wahr.


Warum Dialektliteratur?

Anatzen, Drischpl, Klachl, Kaischn, Dampfl und Wazan – Worte, die die Kindheitssprache bilden, die mich mit ihrem Klang augenblicklich, im Bruchteil einer Zehntelsekunde, in schon versunkenes, erlebtes Sein versetzen. Es ist ein eigener Kosmos mit seltsam anmutendem Fachvokabular, der die Arbeits- und Lebenswelt meines Vaters beschreibt. Besuche ich den 94jährigen, schreibe ich die „Fachworte“ inzwischen mit.


Im Kärntner Dialekt soll es zwanzig unterschiedliche Worte für das Weinen geben. Da kann man zwillen und plärren, heschatzen und de Zachalan rinnen losn, und dadurch schon die Art und Weise des Kummers näher bestimmen. Ein Reichtum im Wortschatz, der uns hilft, die Bewegungen der Seele sorgfältiger, ja sanfter, zu verbalisieren und einzuordnen. Sie können uns näher an unsere Emotionen bringen, zwischenmenschliche Distanzen verkürzen, einen unmittelbareren Weg zu herzlicherem Verständnis bilden. Mundart ist eine Sprach-Ressource, sag ich mal, das Schimpfen geht auch direkter.


In der Herzenssprache der Mundart fließen Klagen leichter, lodert der Zorn wuchtiger. Eine verborgene Kraft, die sich erst nach und nach zeigt, scheint in der Mundart zu schlummern; als würde deren alte Melodie uns Frierende ein wenig mehr „wärmen“. Dennoch erinnere ich die Jahre, als gesagt wurde, wir sollten die Mundart besser meiden, wollten wir in der Schule nicht als rückständig gelten. Die Zeit zog dahin und zu meiner Überraschung eröffnete sich mir im Lauschen und Schreiben lyrischer Texte die Mund-Art als neues Feld.


Gibt es Vorbilder?

Vorbilder in dem Sinne habe ich eher nicht, eine Entdeckung waren die Gedichte von Milka Hartmann mit ihren sozialkritischen Themen. Den Wiener Dialekt mag ich übrigens auch, weil ein Teil meiner Familie aus Wien kam und meine Kinder inzwischen auch wieder in Wien leben und arbeiten.

Lyrikbände von Christine Lavant und Elfriede Gerstl liegen griffbereit, um den Alltag mit einer lyrischen Pause zu strukturieren, das ist dann wie ein Luft-holen für mich – im übertragenen Sinn. Mich faszinieren biografische Lebensbögen: wie dröseln Menschen die Spannung von Gelingen und Scheitern auf, wie verarbeiten sie die Umbrüche und wie gehen sie mit den Volten des Lebens um.



Was liest du gerade?

Alba de Céspedes „Das verbotene Notizbuch“ war das Lesevergnügen in den Weihnachtsferien. Mit Anne Carsons „Decreation“ sowie Claire Lispectors „Nahe dem wilden Herzen“ nenne ich Autorinnen, deren Bücher mich längere Zeit beschäftigen.


An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück?

Im vorigen Jahr konnte ich die Johannes Lindner-Lesung in Moosburg initiieren. Ausschlaggebend war dessen 125. Geburtstag. Die Gruppe der Kärntner Schreiberlinge beschäftigte sich mit Lindners Werk und seiner Biografie. Die Kärntner Schreiberlinge lasen im vollbesetzten Karolinger Saal vor einem sehr interessierten Publikum. Freunde, Verwandte und Menschen, die dem Dichter nahestanden, kamen miteinander ins Gespräch; der literarische Abend erntete viel positive Resonanz.


Woran arbeitest du derzeit?

An diesen literarischen Dialog anknüpfend, planen wir eine Veröffentlichung und weitere Lesungen.

Ein Faden in der Hand zieht den zweiten dazu: Urban Jarnik, wieder ein Moosburger Lyriker, ging mit der Abhandlung über die slowenischen Dialekte in Kärnten als erster slowenischer Dialektologe in die Sprachgeschichte ein. Sein Gedicht Sternenwelten (Zvezdje) wurde in Fellingers deutscher Übersetzung von Franz Schubert vertont. Vielleicht lässt sich noch der eine oder andere literarische „Schatz“ entdecken.


(26. Jänner 2022)

 

kerntna vahöltnisse


wiaso hot de obaste ärztin

de kinda dos lebm

so schwar gmocht

oba sich sölba so leicht?

wiaso hot se net gsegn

doss da primar de kinda quölt?

a hundat bettn station

hobn eam de politika umebaut

so vül kronke kinda - wers glabt!

mochst eh de bettn voll

doss es si rentiert nit wor?

a gschaftigs einliefern wor´s

wonnst nit folgst kummst zan wurst

de firsorgarin de lehra de burgamasta

mir hobn wieda a kind fia di

so viel ongst

so viel kindahänd

so viel haut

so viel nit vastehn

in da nocht werdn se aufgweckt

und in a hotel gebrocht

es wortn scho anige leta

und wenns weggrennt san

hot se da gendarm

obgwatscht rechts und links

du nixnutz liag nit

dia glabt eh kana.

© Elisabeth Hafner


 

Mehr Literatur von Elisabeth Hafner finden Sie in den MORGENSCHTEAN-Ausgaben

U68-69 und U 70-71 (beide 2021)





 

Kurzbiografie


1962 in Feldkirchen/Kärnten geboren - lebt und arbeitet als Lehrerin in Klagenfurt. Sie ist Mitglied im Kärntner Schriftstellerinnenverband und gehört zur Schreibgruppe Kärntner Schreiberlinge; sie schreibt Lyrik und Kurzprosa.


Auszeichnungen:


2021 Kärntner Lyrikpreis der Stadtwerke Klagenfurt. Vierter Platz

2021 Herbstausschreibung der IGfemAT

2021 Interessensgemeinschaft Feministische Autorinnen IGfemAT

WeissNet Ausschreibung 2021

2020 Interessensgemeinschaft Feministische Autorinnen IGfemAT

WeissNet Ausschreibung 2020

2018 Literaturwettbewerb Stadtgemeinde Bleiburg

Kärnten wortwörtlich – Koroška v besedi. Erster Platz

2015 Kärntner Lyrikpreis der Stadtwerke Klagenfurt. Zweiter Platz



(Stand 26 Jänner 2021)


Morgenschtean – Die Österreichische Dialektzeitschrit

Hg von: Ö.D.A. – Österreichische Dialektautor:innen

Institut für regionale Sprachen und Kultur

Gumpendorfer Str. 15, 1060 Wien

Kontakt: morgenschtean@oeda.at

IMPRESSUM / DATENSCHUTZ

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